Wann man abgelaufene Joghurts isst


Bericht von Marita Kasischke/Heidenheimer Zeitung vom 08.11.2017 16:23 Uhr


Thomas Schreckenberger ließ in der ARCHE in Dischingen zum großen Vergnügen des Publikums Seehofer, Merkel, Stoiber und Kretschmann „Romeo und Julia“ spielen.


Bringt es fertig, Parallelen zwischen Shakespeare und Bundespolitik zu ziehen: Kabarettist Thomas Schreckenberger.
Bringt es fertig, Parallelen zwischen Shakespeare und Bundespolitik zu ziehen: Kabarettist Thomas Schreckenberger.

Thomas Schreckenberger? Nie gehört, mag sich der eine oder andere Besucher am Sonntagabend in der „Arche“ in Dischingen gedacht haben. Das mag auch der Grund gewesen, sein, warum ein paar Plätze .leer blieben. Den Daheimgebliebenen sei gesagt: Sie haben richtig was verpasst.

Der Heidelberger Kabarettist feuerte in seinem gut zweistündigen Programm mit dem eher schlichten Titel „Eene meene muh, wem vertraust Du?“ Pointen ab, dass es nur so krachte, der Humor traf oft den Farbbereich Dunkel-schwarz und immer voll ins Schwarze. Dabei graste Schrecken-berger die fruchtbaren Weiden der Politik, der Gesellschaft, der Beziehungen und Kindererziehung, Sport und Spiel, Smartphone und Religion Halm für Halm genüsslich ab und weidete sich selbst am Vergnügen seines Publikums.

Klaus Kinskis Geist

Allein schon das Eintrittsgeld wert war seine Interpretation von „Romeo und Julia“, gespielt von der Laiengruppe des Bundestags mit Horst Seehofer als Romeo, Angela Merkel als Julia, Edmund Stoiber als Mercutio, Ursula von der Leyen als Rosalind und Winfried Kretschmann als Mönch. Zum Brüllen komisch und dabei spitzfindig intelligent hatte Schreckenberger Shakespeares Verse in Lyrik zur aktuellen politischen Lage verwandelt und gab dabei Parodien ab, die von punktgenauer Beobachtung und höchster Spielfreude gleicher­maßen zeugten.

Und dann auch noch die Vision vom Geist Klaus Kinskis, der in Angela Merkel fährt, um ihr Kabinett .mal ordentlich gegen den Strich zu bürsten – hätte Schreckenberger nur diese beiden Kabinettstückchen geboten, der Abend wäre auch dann sehr gelungen gewesen.

Er hielt aber noch so viel mehr bereit: Sponsoring-Möglichkeiten für die Kirche, etwa den schwarzen Rauch bei dem Konklave durch VW präsentieren zu lassen oder das Luther-Zitat „Hier stehe ich, ich kann nicht anders“ auf Kondome zu drucken, die Gefühls-App für den Gefühlsdepp, Nerds, die beim Gang in die Realität angesichts der voll krassen 3-D-Grafik zu Staub zerfallen, Grüne, die noch Spuren von Gewissen enthalten, Elite-Lobbyisten, die sich Politiker via Internet bestellen, Beipackzettel so lang wie die „Buddenbrooks“, Charity-Veranstaltungen für Flüchtlingskinder mit Laktoseintoleranz.

Geschickt hatte Schreckenberger ein Programm aufgebaut, in dem scheinbar zufällig die Pointen wie nebenbei fielen und der Zuhörer nie so ganz sicher sein konnte, in welche Wunde ein auch harmlos daherkommender Satz führen würde. Erdogan zieht den Botschafter aus Berlin ab? Hätte er doch lieber die Dönerbudenbesitzer abgezogen, dann hätte man Berlin wieder aus der Luft versorgen können – aber auf welchem Flughafen sollten die Rosinenbomber landen? Als Geschenk für Donald Trump empfiehlt er eine Fahrt im offenen Cabrio durch Dallas und Frauke Petry solle sich drum küm­mern, dass aus ihrem Kind nichts Rechtes wird.

Die Netzer-Parodie

Und immer wieder Parodien, und die macht Schreckenberger richtig klasse – eine Raute macht schließlich noch keine Merkel. Schrecken-berger ließ auch die Urgesteine Brandt, Kohl, Schmidt wieder auferstehen. Oettinger, Kretschmann, Grönemeyer, Lindenberg, Beckenbauer, die sind ja immer gerne Opfer von Parodisten, aber wann hätte man je eine Günther-Netzerparodie erlebt? Schreckenberger hat sie drauf, und begeistert damit genauso wie mit Til Schweiger, dem Meister des Nuschelns.

Und schließlich gipfelte Schreckenbergers Pointenfeuerwerk in. der Forderung, mit der Unterwürfigkeit vor Siegel und Stempel Schluss zu machen: „Ein bisschen Revolution, bitte.“ Im Alltag kann das so aussehen, dass man ein abgelaufenes Joghurt isst oder auch einfach mal den Kopf einschaltet. Verrückte Vorstellung.