Und immer wieder gern schön unerhört bleiben


Bericht von Siglinde Broich-Bernt/Heidenheimer Zeitung vom 19.04.2016 16:02 Uhr


Mix aus Text, Liedern und Dias: Mehrfachkönner Jess Jochimsen in der Dischinger ARCHE


Auf bekannten deutschsprachigen Bühnen unterwegs regelmäßig im Fernsehen und jetzt in der ARCHE: Jess Jochimsen. Foto: Kornelia Wöhrle
Auf bekannten deutschsprachigen Bühnen unterwegs regelmäßig im Fernsehen und jetzt in der ARCHE: Jess Jochimsen. Foto: Kornelia Wöhrle

Der Mann hat Talent. Stimmt nicht: Er hat mehr als eins. Er sieht und hört gut, und zwar hin. Schreibt es auf, hält es in Tönen und mit der Kamera fest, produziert Bücher, Bildbände und Bühnenprogramme: Jess Jochimsen -Kabarettist, Autor, Fotograf und Musiker. Am Sonntag, 17.4.16 zu Gast auf der Kleinkunstbühne der Arche in Dischingen.

Seit mehr als zwei Jahrzehnten ist der gebürtige Münchner auf allen „bekannten deutschsprachigen Bühnen“ unterwegs, was natürlich für Dischingen spricht, denn hier komme er, so sagt der für sein kabarettistisches und literarisches Schaffen vielfach ausgezeichnete Jess Jochimsen „besonders gerne her“.

Er mischt sein Soloprogramm mit Texten, Liedern und Dias, und irgendwie weiß man am Ende des Auftritts nicht so genau, von was es, bitteschön, gerne noch ein bisschen mehr hätte sein können.

Sein Programm „Für die Jahreszeit zu laut“ sei ein Versuch, dem großen Geklapper zu entkommen und dabei Haltung zu bewahren, sei ein Misstrauensvotum gegen „Lärmmacher aller Art“, hatte der mit seiner Familie in Freiburg lebende Jochimsen versprochen. So viel vorweg: Versuch gelungen.

Überwiegend leise Töne schlägt der Kabarettist an. Die sind allerdings unüberhörbar. Herrlich seine Wortschöpfungen, wie etwa Leistungslärm (das Gerede um den Bildungsauftrag). Da sind die Leistungslerner, Schüler eben. Das „Hausmeistern“ und die „Karlheinzhaftigkeit“ zählen zu weite­ren Kreationen, die Jochimsen einsetzt, wenn er den Besserwisser beschreibt, dabei in Zweifel zieht, ob der es denn wirklich besser weiß als einer, der schon einmal Fünfe gerade sein lässt.

Und schon ist man angekommen bei einer „Vorbereitungsveranstaltung für die Hölle“, besser bekannt als Elternabend. Wobei das Mehrfachtalent gerne ein wenig Deutschunterricht einflicht, nachfragt, wer noch den Unterschied zwischen starkem und schwachem Verb kennt und „Begrifflichkeiten“ wie „Gelder“ oder „familienfreundliche Bundes­wehr“ unter die Lupe nimmt.

„Griesgram“ zählt zu den Wörtern, die der Kabarettist besonders „schön“ findet. Schon deshalb,
weil es für den einen oder anderen „nach Lebensziel klingt“. Jess Jochimsen stellt keck Fragen, die sich sicher jeder schon gestellt hat, aber nicht auszusprechen wagte. Etwa, warum man das Wort „Wachstum“ mittlerweile ausschließlich mit „Wirtschaft“ verbindet, warum „Intellektuelle immer vor einem Bücherregal interviewt werden“.

Jochimsen philosophiert (Philosophie hat er neben Germanistik und Politikwissenschaft studiert) über das Denken an sich und über das Weiterdenken im Besonderen, stellt dabei fest: „Ich soll nach vorne denken, war aber mit dem Nachdenken  überhaupt  noch nicht fertig.“

Überlegt hat er, ob sich „Stuttgart 21“ schon allein deshalb lohne, weil der Reisende zukünftig eine Viertelstunde früher in Ulm sein werde. Was wiederum die Frage aufwerfe: „Warum hat der Fahrgast dann nicht einen Zug früher genommen?“

„Unvernunft ist auch schön“, so die Erkenntnis des 46-Jährigen und eine Studie zur Rechenaufgabe umfunktioniert: „Wenn der Mensch jeden Tag eine Stunde lang läuft, wird er – statistisch gesehen – zwei Jahre länger leben, hat allerdings vier Jahre mit Laufen verbracht.“

Wird auch jedes Jahr nach dem „Unwort“ gesucht, ist Jess Jochimsen bereits beim „Unsatz“ fündig geworden. Dazu zählt: „Ich bin kein Rassist, aber…“ Zum besseren Verständnis: Man stelle sich den Spaziergänger im Wald vor, der auf einen Wanderer trifft und bekennt:

„Ich bin kein Serienkiller, aber…“

Erheitert hat der Kabarettist, Autor, Fotograf und Musiker, in dem darüber hinaus ein wunderbarer Barde steckt, mit (nicht von ihm erfundenen) in Deutschland gefundenen Werbetexten, von denen einer lautet: „Schießen lernen, Freunde treffen.“ So wie am Sonntag in der Arche.

Hier fand der Freiburger „ein für Schwaben zauberhaftes Publikum“ vor, das sich bereitwillig einließ auf den gekonnten Wechsel zwischen Text und Ton, mal was fürs Auge, mal was fürs Ohr. Mag es für den einen ein Lebensziel sein, ein Griesgram zu werden, so lautet das von Jess Jochimsen: „Ich will versuchen, unerhört zu bleiben.“ Unerhört kritisch, unerhört spitzfindig. Gerne gehört.