Rocken statt bloggen


Bericht von Marita Kasischke, Heidenheimer Zeitung vom 24.04.2013 16:08 Uhr


Volltreffer in der ARCHE: Mathias Tretters Feldzug gegen die im Netz verhedderte Gesellschaft


Mokierte sich mit viel Witz über die bewusstseins-beherrschenden sozialen Netzwerke: „Mathias Tretter möchte nicht dein Freund sein“ hieß das treffende Kabarettprogramm in der Dischinger ARCHE.
Mokierte sich mit viel Witz über die bewusstseins-beherrschenden sozialen Netzwerke: „Mathias Tretter möchte nicht dein Freund sein“ hieß das treffende Kabarettprogramm in der Dischinger ARCHE.

Ach, was waren das noch für Zei­ten, in denen nicht gepostet, sondern gehandelt wurde, in denen Menschen bei Konzerten sangen, tanzten oder soffen statt zu filmen. Kabarettist Mathias Tretter ließ sie am Sonntag in der Arche wieder aufleben – und begann sogleich seinen großen bösen Feldzug gegen Twitter, Blogs und Facebook, gegen die vollkommen im Netz verhedderte Gesellschaft.

Wie konnte es überhaupt so weit kommen, dass sich die Menschen so ganz und gar veräppeln, äh: verapplen lassen? Dass sie Steve Jobs als ihren Heilsbringer, ihren Guru verehren und ihm ihr Geld in den Rachen werfen? Dass sie zu Apple-Stores pilgern und ihr Display zärtlicher streicheln als ihre Frau?

Mathias Tretter, Nerd der ersten Stunde am legendären Commodore 64, weiß die Antwort: Sie haben keine Frau. Sie haben keinen Sex. Sie haben keine sozialen Kontakte außer die aus ihren sozialen Netzwerke, die die Be­grifflichkeiten neu definieren: Es gibt Freunde – und es gibt Leute, die man mag.

Freunde, das sind die Hundert­schaften an Kontakten, deren Anzahl allein zum Statussymbol geworden ist – und nicht etwa die Qualität derselben. Glücklicherweise weiß Mathias Tretter Rat:

Gemeinsam mit seinen Freunden Rico und Ansgar gründet er ein asoziales Netzwerk; und von diesem aus wird sogar das gelingen, was den Deutschen schon gar niemand mehr zutraut: die Revolution.

Mathias Tretter spielt sich selbst, spielt Freund Ansgar, der ihn einst vom Computer weggebracht hatte, dem Alkohol sei Dank, und er spielt Rico, den sächselnden King of Tweets, der mit geschickt lancierten Twittermeldungen  Feierwütige  zum Brandenburger Tor lockt, um dort mit Hilfe der Riesling-Reserven von Rainer Brüderle tatsächlich Revolution zu machen.

Tatsächlich? Oder doch nur in Netz und Blogs und Tweets? Tretter schafft es mühelos, die Grenzen verschwimmen zu lassen, die Grenzen zwischen real existierendem Leben und der Virtual Reality, der sich die Jünger der neuen Medien so gerne hingeben. Er lässt junge Väter zwischen Nanny-App und Cooking-App straucheln, er schafft die Angela-Merkel-Parodie ebenso lässig wie mundwinkel- und rautengenau, er lässt Klaus Kinski aufleben und Dr. No, der James Bond und der Menschheit gleichermaßen in Ge­stalt von Mark Zuckerberg androht, alles Wissen abzuspeichern, auf das auch das kleinste Detail einer Persönlichkeit niemals verloren gehe.

Aber was ist die Welt ohne Geheimnisse? Mathias Tretter weiß es: Verloren. Glücklicherweise weiß der dank nicht legaler Pflanzenstoffe absolut lockere Ansgar Rat: Entspannung als Widerstand, das ist seine Devise. Und dem Einwand, dass die Menschheit dann seit der Bronzezeit keinerlei Weiterentwicklung mehr erfahren hätte, setzt er ein tiefenentspanntes „Wäre das so schlimm gewesen?“ entgegen.

Entspannend war der Abend mit Mathias Tretter in der vollbesetzten Arche nicht gerade: Es gab viel zu tun für die Zuschauer, denn viel steckt drin im Programm „Mathias Tretter möchte nicht Dein Freund sein“. Da gab es Plattheiten ebenso wie völlige Albernheit – wie etwa das laut mit sächsischem Akzent gegrölte „Enjoy the silence“. Und eben wieder Betrachtungen voller Hintersinn und Sprachwitz, dass die vor Lachen geschüttelten Zuschauer am Ende ganz sicher den „Gefällt mir“-Button  gedrückt  hätten, wenn es ihn denn gegeben hätte.

Aber den lehnt Tretter schon in seiner Eigenschaft als Franke ab: „Der Franke kennt nur, Gefällt mir ned‘ und Gefällt mir gar ned’“.

Darin ist er vielleicht dem auch nicht gerade für überschwänglichen Lobeshymnen bekannten Ostalbschwaben vielleicht gar nicht so unähnlich. Doch für diesen Abend gab’s volle Zustimmung, vor allem für die große Botschaft am Ende des Programms: „Rocken statt bloggen, litern statt twittern.“ Und einen schönen vielbejohlten Reim auf „statt klicken“ fand er auch. Der Abend war ein Volltreffer.