Mit blutdrucksteigerndem Nachdruck


Bericht von Dr. Manfred Allenhöfer/Heidenheimer Zeitung vom 11.07.2015 10:11 Uhr


Benefizgala im Naturtheater mit Ernst Mantel, Roland Baisch und dem Frauenduo „Suchtpotenzial“


Schwäbisch knitzes finales Zusammenspiel: Zum Schluss der Benefizgala der Landes-Kleinkunstpreisträger traten diese auf der eigens aufgebauten Bühne im Naturtheater gemeinsam auf. Auch dabei überzeugten (von links) Ariane Müller und Julia Gämez Martin vom Duo „Suchtpotenzial“, Roland Baisch, Ernst Mantel und Frank Wegenmann durch hintersinnige Unerschrockenheit.
Schwäbisch knitzes finales Zusammenspiel: Zum Schluss der Benefizgala der Landes-Kleinkunstpreisträger traten diese auf der eigens aufgebauten Bühne im Naturtheater gemeinsam auf. Auch dabei überzeugten (von links) Ariane Müller und Julia Gämez Martin vom Duo „Suchtpotenzial“, Roland Baisch, Ernst Mantel und Frank Wegenmann durch hintersinnige Unerschrockenheit.

Eine Stunde vor Mitternacht fetzte die E-Gitarre durchs Naturtheater: „Wenn alle weg sind, mach i Party“, sang Ernst Mantel, begleitet von den vier anderen Musikern der Lotto-Benefizgala der Landes-Kleinkunstpreisträger. Es war die finale Session eines begeisternden Abends.

Und sie spiegelte, paradigmatisch quasi, das den Abend beherrschende Thema wider: Wie sind und wie fühlen sich Schwaben? Und wie reagieren Berliner und die übrigen Menschen dieser Welt auf diesen Menschenschlag?

Nein, da wurde nicht einfach dahergeschwäbelt und ein bisschen landsmannschaftliche Heimeligkeit vorgetäuscht und dann lustvoll gebrochen. Immerhin: So scheinbar harmlos begann der Abend.

Ernst Mantel, anthrazitfarbener Anzug, rotes T-Shirt, kam (von rechts!) aus der Tiefe des Natur­theaters. Mantel, sogar doppelter Landes-Kleinkunstpreisträger, er­öffnete, übernahm die Rolle des Conferenciers, begrüßte die über 800 Besucher „im wunderschönen Naturtheater“ und stellte sich selber vor: „I bin Liedermacher, Komödiant und Schwabe“.

Damit war der Anspruch des Abends vorformuliert, an dem die drei Kleinkunstpreisträger, die anderen jeweils im Duo, mit ihren Beiträgen geschickt miteinander verzahnt wurden – der Abend wirkte so wie aus einem Guss. Freilich gab es einmal schon einen Auftritt mit eben dieser schwäbischen Triple-Besetzung.

Ernst Mantel muss man nicht mehr groß vorstellen. Der große Altmeister  der  schwäbelnden Kleinkunst (der studierte Kunsthistoriker Mantel wurde 1956 im Ostalbkreis geboren) ist ein hinreißend komischer und gleichzeitig kluger, gelegentlich sogar weiser Südwestdeutscher, der freilich weiß: „Qualität ist was Seltenes“. Von ihm wurde diese dann aber durchgehend geboten, freilich mit kessem Understatement – und von seinen Co-Künstlern ebenso.

Mantel persifliert die Eigenheiten der Schwaben mit reinsinnigem Nachdruck. Nach seinem Einstieg mit einem fast schon zermürbenden Zitate-Potpourrie („I will aber auf alles rhetorisches Beiwerk verzichten!“) stellt er fest, was dann auch die anderen Klein-kunstpreisträger bestätigen: Schwaben sind quasi allüberall. „Ach du Schande – Verwandte“ respektive „Bekannte“ heißt das dann, als er sich musikalisch an einigen Orten der Welt umschaut.

Auch seine „Luschtige Linguischtik“ belegt, dass Schwaben die Welt weder geistig noch touristisch noch kulinarisch oder sonst wie fremd ist.

Die brüten längst nicht mehr nur im eigenen Saft – außer, wenn sie, wie bei der finalisierenden „Party“, allein und glücklich mit einer Dose Bier und einem Glas Saitenwürschtle, so richtig aus sich herausgehen.

Aber das ist der, seltener werdende, autochthone Schwabe. Der hierzuländle verwurzelte Men­schenschlag ist aber mittlerweile, vom letztlich ja charakterlich bedingten Erfolg geschlagen, längst ein globales Phänomen. Der sich, manche wundert’s, sogar zu akklimatisieren bzw. zu sozialisieren weiß.

Und so kündigt Mantel, nach wenigen eigenen Nummern, zwei „Kolleginnen“ an, die „nicht nur seit einigen Jahren schon um vieles jünger sind als i“, sondern zugleich „lebender Beweis, dass das Zusammenleben von Schwaben und Berlinern absolut unblutig verlaufen kann“.

Die Entdeckung des Abends war das ebenso kultivierte wie powervolle Duo „Suchtpotenzial“. Das setzt sich zusammen aus der Ulmer Pianistin, Stadtmusikerin und Sängerin Ariane Müller und der Berliner Musicaldarstellerin Julia Gämez Martin, die sich im schwäbischen Ulm kennengelernt haben. „Wir haben uns richtig gefreut auf Heidenheim“, bekennen sie einleitend; Berlin mit seinen oft genug neurotischen Hipstern liege ihnen eigentlich eher nicht so sehr. Um dann damit zu beginnen, Klischees zu kultivieren: „Ich will einen Bauer“, hieß dann ihr ostentatives Bekenntnis zum vermeintlich dezidiert contra-metropolitären Heidenheim: „In einer Scheune erfüllt er meine feuchten Träume“, wurde das dann, herzhaft unerschrocken, weiter ausgesponnen.

Und überhaupt: Um deutliche Ausdrucksweise waren die beiden Damen nicht verlegen. Und so ver­kehrten sie, in einer exemplarischen Partner-Analyse (Ariane Müller: „Immerhin hab‘ ich fast ein Semester Psychoanalyse fertig studiert“) das von Sigmund Freud postulierte angebliche weibliche Minus in der physischen Mittelregion um: „Frauen können immer; wir sind ja befreit – und schon haben die Männer den Vagina-Neid.“

Das Frauenduo formuliert sehr bewusst, oft spielerisch krass, aus­gesprochen herzhaft und gelegentlich ungewohnt deutlich. Aber eben immer mit komödiantischer Doppelbödigkeit.

Wunderbar ihre Persiflage auf ein Leben in den unterschiedlichsten Sphären (Musical – Oper -Theater – Poetry Slam – Rap – Volksmusik etc.) oder ihr mit Nachdruck zelebriertes Chanson, bei dem die Begriffe Marmelade, Pomade und Remoulade jeweils für mächtigen Stimmungsaufschwung sorgten, mit stimmlichem Nachdruck vorgetragen.

Herrlich auch ihre Cro- und Sido-Persiflage: „Suchtpotenzial“ ist ein eigenständiges, problempersiflierendes Frauenduo, das Trends und Befindlichkeiten gerne mit blutdrucksteigerndem Nachdruck aufgreift.

Dritter im Kleinkunstpreisträger-Bund war Roland Baisch, der mit seinem Gitarristen Frank Wegenmann nach Heidenheim gekommen war: Der altersbewusste „Grandseigneur des Entertainments“ (erstaunlicherweise 20 Jahre jünger als Mantel!) bekannte sich zu seiner Jugend in Korntal ebenso wie zu seinem Alter, das unter anderem ein „doppelschichtig verschlafftes Kinn“ zur Folge habe: Er sei im Ländle halt „der graue Star“.

Auch er ist ein bekennender Mittelstädter: „Heidenheim is my Lady“, dichtet er nach einem Nachmittag in der Brenzstadt:

„Forget New York.“ Mit originellem Instrumentarium und großer sozialer Bewusstheit bot er deutliche, gelegentlich fast schmerzhafte Beiträge, etwa im „Gangsta-Rap“ des Oberschichtbuben vom Killesberg oder in der „Unterschichten-Polka“.

Baisch hat keine Scheu vor allfäl­liger Wirkung, deutlichen Worten und ungewöhnlichem Instrumentarium, etwa einem singenden Sägeblatt. Eindrücklich auch seine schwäbische „Sause“ bzw. „Arbeitspause“ im, dank „Stuttgart 2l“, raschestens erreichbaren Bratislava.

Eine Benefizgala war das: Toto-Lotto und die Heidenheimer Volksbank bezahlten die Gagen, damit die Erlöse aus den Eintrittsgeldern („Rekordkulisse“, konstatierte der neuerdings für Heidenheim zuständige Lotto-Bezirksdirektor Dieter Grauling) ungeschmälert an Naturtheater und „Freunde schaffen Freude“ weiter fließen können. Marita Kasischke moderierte die Fragerunde, die unter anderem Oliver Conradi, Inge Grein-Feil und Norbert Pfisterer auf die Vorbühne des Naturtheaters führte.

Der Abend war ein durchschlagender Erfolg; so war den Ausrührungen unisono zu entnehmen. Und: Er wird 2016 eine Wiederaufnahme erfahren. Die beiden Finanziers zeigten sich einverstanden. Das Publikum sowieso.