Lustvolles Zerquetschen des Weihnachtsmannes


Bericht von Dr. Manfred Allenhöfer, Heidenheimer Zeitung vom 18.12.2012 09:56 Uhr


Jess Jochimsen begeisterte mit seinem spritzigen „Jahresendzeitprogramm“ in der ARCHE


Lustvolles Zerdrücken: Das Antlitz des „Konsumterrors“ machte Kabarettist Jess Jochimsen immer wieder symbolhaft bei den Schoko-Weihnachtsmännern aus, die er mit sadistischer Freude zerquetschte - direkt neben seinem Headphone.
Lustvolles Zerdrücken: Das Antlitz des „Konsumterrors“ machte Kabarettist Jess Jochimsen immer wieder symbolhaft bei den Schoko-Weihnachtsmännern aus, die er mit sadistischer Freude zerquetschte – direkt neben seinem Headphone.

Was war das nun: eine kabaret­tistische Resteverwertung? Eine pointenstarkes Potpourri? Szenisches Improvisieren – literarische Lesung – Musikkabarett – Diaschau? Eine autobiographische Aufarbeitung kindlicher Niederlagen? Oder eine liebevolle textuelle Zuwendung ans eigene Kind?

Jess Jochimsen war in der „Arche“ mit seinem „Jahresendzeitprogramm“, dem er den Titel „Vier Kerzen für ein Halleluja“ gab. Im Untertitel verspricht er „Texte, Dias, Rock/n‘ Roll“. Und darunter subsumiert all das oben Genannte – und mehr.

Man muss ein großer Könner sein, um einen solchen Mix nicht als stilistisch beliebiges Durcheinander, sondern als herrlich unterhaltsames und wunderbar entspannendes Kabarett zu präsentieren. Das war ein Abend ganz eigener Prägung; und begeisternd war schon einmal, wie, im Wortsinn: locker vom Hocker Jochimsen seine eigentlich ganz disparaten Nummern vorweihnachtlich und dennoch frech gab – mit gleichwohl einigermaßen stimmig durchlaufendem rotem Faden.

Dabei wurde das Publikum immer wieder, meist scheinbar beiläufig, auch an Grenzen geführt. Freilich war Jochimsen nie insistierend; setzte er eine (im katholischen Dischingen nicht immer unproblematische) Spitze, bohrte er nicht weiter nach, son­dern zeigte sich als wandlungs­fähiger, multipel thematisierender Springinsfeld. Am Abend zuvor hatte er sein Programm im großstädtischen Stuttgarter Theaterhaus gezeigt.

Jess Jochimsen ist ein feinsinniger Frechdachs und Freigeist. 1970 in München geboren, studierte der heutige Freiburger Germanistik, Politik und Philosophie. Diesen bildungsträchtigen Hintergrund merkt man seinem aktuellen, erstaunlich jahreszeitbezogenen Programm auch durchaus an.

Zwei Stränge konzediert er diesem selber: Geboten werde, meinte er, ein „Jahresrückblick“ der dann zwar relativ stakkatohaft ausfiel – und dennoch viele spitze Treffer setzte. Und dann sei da, zweitens, das anstehende Weihnachten, das er auf sehr vielfältige Weise zum Thema machte. Die „Kartoffeln“ (Katholiken, so geheißen in der Kindersprache seines Sohnes, der auch von ägyptischen „Pymeriden“ zu schwärmen wusste) von Dischingen werden, wie Inge Grein-Feil hernach offen zugab, nicht alles mit unbeschwert leichtem Sinn vernom­men haben.

„Ihr sollt Euch zurücklehnen“, meinte jedenfalls Jochimsen ein­leitend, die „entschleunigende“ Intention seines Programms verkündend. „Idee des Abends“ sei, „dass wir’s gemütlich haben“. Das war freilich eine Gemütlichkeit ganz eigener, herrlich frischer Konvenienz. Jochimsen ist ein sehr kultivierter Frecher, und getümelt hat bei ihm nichts.

Einleitend verteilte er Spekulatius im Publikum – und tat dabei sein (von einer Discounter-Verkäuferin geäußertes) „Wort des Jahres“ kund: „Spekulatius-Engpass“, das stehe für ihn noch vor dem offiziellen (un-) Wort „Rettungsroutine“.

Und das führte dann hin zu seinem mit anarchischer Lust vorgeführtem Lieblingsobjekt seiner Attacken: dem aufdringlichen „Antlitz des Konsums“.

Mit hinreißendem sadistischem Vergnügen deformierte er dabei immer wieder, mit sinniger Symbolik, die Gesichter einiger „Milka-Weihnachtsmänner“. Das war, sprachlich, gestisch und auch akustisch (die Quetschung direkt am Headphone) eine genießerisch destruktive große Lust auch fürs Publikum.

„Stimmung“ also – aber so ganz anders als landläufig zelebriert:

Und dann sein Angebot ans häufig unmittelbar angesprochene Publikum: „Was wollt Ihr noch?“ Jochimsen bot etwa „Syrien oder Ägypten“ an. Und simulierte eine arabische Tagesschau, die Deutschland pries: Präsident ein Pastor, Kanzlerin eine Pastoren­tochter, grüne Spitzenkandidatin aus dem evangelischen Umfeld. Lob aus Nahost als Folgerung:

„Deutschland – ein Gottesstaat“.

Bettina Wulff, der deutsche Ver­fassungsschutz („arbeitet tadellos“), Stuttgart 21 – kurze, zuspitzende Anspielungen reichten dem 42-jährigen: „Ich kaue alte Themen durch“, die er dann schlaglichtartig „erledigt“. Jochimsen macht, wenngleich in diesem Programm in kunstvoller Knappheit, auch politisches Kabarett. Das ist sein knackiger Jahresrückblick.

Mit diesem verschlungen wird immer wieder der „zweite Strang“: Weihnachtliches. Als kabarettistisches Kabinettstückchen geriet ihm dabei die Erinnerung an sein achtjährig selbst erlebtes Krippenspiel in der Aula der „Wittelsbacher-Schule“. Er wollte den „heiligen Geist“ spielen, (weil er auf befruchtende Erlebnisse mit der begehrten Maria-Darstellerin hoffte) – und gab dann den Esel, 58 mal „i a“ rufend. Was im Bayerischen ja „ich auch“ bedeutet. Ein frühes, wohl prägendes Erlebnis, das der Akteur so in Szene setzte, dass das Publikum aus dem Jubeln kaum herausfand.

Und dann hatte Jochimsen, schon beim Spekulatiusverteilen, den Vertreter der Heidenheimer Zeitung ausgemacht („klar, roter Schal und runde Brille“). Ihn sprach er, ein Meister auch des lockeren Improvisierens, mehrfach an. Am Schluss zelebrierte er, weil angeblich vom Pressemenschen gewünscht, noch einmal das lustvolle Zerdeppern eines Schoko-Weihnachtsmannes. Und wollte nimmer von der Bühne:

„Ich hab‘ jetzt hier so viel Spaß“, meinte der publikumszugewandte Routinier.

„Jetzt kommt gleich die Inge auf die Bühne und knutscht mich ab“, sagte der Dischingen-erfahrene Akteur sodann voraus. Für seinen Sohn erhielt er ein Steiff-Tierchen:

„Der fragt mich sicher, ob’s dafür auch ein App gibt“, meinte er schlagfertig. Und versprach, wiederzukommen.

Großer Beifall vom Publikum.