Markerschütternde Ernstlosigkeit


Bericht von Brigitta Ernst vom 12.11.2012 10:39 Uhr


Herrn Stumpfes Zieh und Zupf Kapelle: Virtuoses Konzert, gepaart mit Nonsense, Witz und schwäbischer Mundart


Herrn Stumpfes Zieh und Zupf Kapelle
Herrn Stumpfes Zieh und Zupf Kapelle




Herrn Stumpfes Zieh & Zupf Kapelle spielt sich seit 20 Jahren munter durch das Land, begeisterte 1 063 456 Menschen, fuhr 625 234 Kilometer und warf 65 432 Wurstbrote unters Volk.
Da ist es nicht verwunderlich, dass sie beim Konzert im fast ausverkauften Dillinger Stadtsaal auf diverse Neuerungen der Band hinweisen: So die handgeklöppelte Perücke von Flex und auch die neuen, roten Socken von Benny, „nachdem die alten operativ entfernt werden mussten.“
Doch langsam macht sich das Alter der schwäbischen Musiker bemerkbar. Daher erklärten sie am Freitagabend im Dillinger Stadtsaal den 500 verdutzen Konzertbesuchern nach zehn Minuten Spielzeit, eine Pause sei nun amtsärztlich angeordnet.

Wurststulle und Amtsarztpause

Siggi Feil von der Aktion „Freunde schaffen Freude e.V.“, die diesen Abend veranstaltete, servierte dem quietschfidelen Quartett ein kühles Bierchen, um die „trockene Gosch“ zu ölen, und Bassist Benny „Banano“ Jäger packte Wurststullen aus – für sich, die Kollegen und Zuschauer.
Während gevespert wird, erklingt eine eigenwillige Variante von Django Reinhardts „Minor Swing“, die Tote zum Tanzen bewegen könnte.
Anschließend wird mit getragener Ernsthaftigkeit und musikalischer Virtuosität ein Medley aus „Fuchs du hast die Gans gestohlen“ und „Alle meine Entchen“ zum Besten zu geben – mit dem Hinweis, sie seien froh, nun sprachlich die schwierigste Textklippe des Abends umschifft zu haben. Mit dem Handwerkszeug eines durchgeknallten Orchesters und Texten von markerschütternder Ernstlosigkeit legten die vier Musiker unschuldig dreinblickend den ausverkauften Stadtsaal in Lachfalten.
Stumpfes filtern mit feinem Gespür aus allen Stilen die Essenz heraus und bearbeiten sie mit unorthodoxen Mitteln: Hawaii-Gitarre trifft auf Hackbrett, eine Tin-Whistle paart sich mit dem Kontrabass, während die Mundharmonika ebenso engagiert wie das Plastiksaxophon gespielt wird.
Dabei merkt man: Die vier Musiker wildern sich voll größtem Vergnügen durch unterschiedlichste Musikrichtungen – und „schwäbeln“ Merengue, Mambo, Calypso, Swing und Soul so gekonnt ein, dass man Schwaben für das Epizentrum moderner Tanzmusik halten mag. Ob spanisches Volkslied, Irisches, Schmalziges wie „Du hast Glück bei den Frau’n, Belami“, oder der AC/DC-Kracher „Highway to Hell“, der zu „Schreiner sei Gsell“ wird, die Vollblutmusiker machen vor keinem Genre oder Klassiker Halt, um ihn in bestem Stumfes-Stil zum Besten zu geben.
Selbst das Kittelschürzen-Chanson wird ein rabenschwarzes Liebeslied, aus Biene Maja machen sie eine Sabine-Mayer-Parodie und der 20er-Jahre-Schlager „Bei mir bist Du scheen“ wird in „Hast du mir an Föhn?“ umgemünzt.
Gegen die Befindlichkeit des biederen Schwaben wird ebenso unerschrocken anmusiziert („Ich hör dem Nachbarn so gern beim Mähen zu, er weiß, dass ich gar nix tu…!“) wie der Landkreis auf die musikalische Schippe genommen wird, wenn die Vier fragliche Familienverhältnisse bei „Schmach und Schand in Villenbach“ besingen.
Aus ihrer Aalener Heimat heraus eroberte die Band die Bühnen des deutschen Südens und versteht sich als „Gralshüter“ eines sehr „saftigen und brunnentiefen Schwäbisch“, was freilich den Hochdeutschsprachler gern über die Haken und Ösen mancher Sprachspielerei stolpern lässt. Wer den hochgeschwindigkeits-Klamaukereien folgen kann, hat allerdings reichlich Anlass für Lachtränen.
Den Namen verdankt das Orchester übrigens eigenen Angaben zur Folge, wegen urmenschlich-urschwäbischen Seelenregungen: Zieh & Zupf, weil es die Regungen sind, die genau dagegen, gegen das innere Abstumpfen rebellieren; und Kapelle, weil es diesen Regungen am besten geht, wenn sie musikalisch unterstützt werden.
Tatsächlich wird gezogen und gezupft, was das Zeug hält, und „e Lättegschwätz“ und „blede Witz“ gibt’s noch obendrauf. Die vier großen schwäbischen Lausbuben, „Flex“ (Michael Flechsler), „Banano“ (Benny Jäger), „Manne“ (Manfred Arold) und „Selle“ (Marcel Hafner) ziehen über zwei Stunde lang ihre Schau auf der Bühne ab und es ist schwer festzustellen, auf welcher Seite das größere Vergnügen liegt.
Für den Zuschauer sieht es so aus, als animierten sich die vier aus dem Stegreif zu immer neuen Blödeleien, bevor jeder von ihnen scheinbar wahllos eines der vielen Instrumente auf der Bühne greift und alle miteinander losmusizieren und -singen.

Virtuos in allen Lagen – wörtlich

Herrn Stumpfes Zieh und Zupf Kapelle begeistert bei seiner Jubiläumstour einmal mehr durch Vielseitigkeit ebenso wie durch Virtuosität in allen Lagen.
Letzteres darf man übrigens wörtlich nehmen, denn wo hat man sonst schon einen liegenden Zupfbass gesehen oder gehört und wo gibt es sonst ein Quartett, das bei jeder Nummer mit komplett neuer Instrumentalbesetzung auftritt?
Nach zwei Stunden toben rund 500 Zuschauer verlangt begeistert nach einer Zugabe. Da lassen sich die „Stumpfes“ nicht lumpen und geben noch mal alles, was Blech, Drums, Saiten und Stimmen hergeben.