Ein Finanzbeamter packt aus


Bericht von Manfred F. Kubiak, Heidenheimer Zeitung vom 22.04.2008 00:00 Uhr


Gernot Voltz machte in Dischingen aus seinem Beamtenherzen keine Mördergrube





 

Da schau her, wie man sich doch täuschen kann! Ein Monster war angekündigt – doch ein Mensch wie du und ich erschien: Herr Heuser vom Finanzamt.
Gut, nicht jeder Mensch wie du und ich trägt viel zu kurze, flaschengrüne Hosen zu in Farbe und Form altdeutschen Sandalen und balanciert dazu einen Pepitahut über silber­farbe­nem Kassengestell. Allerdings, und das sollte der Ordnung halber auch Erwähnung finden: Nicht jeder Mensch wie du und ich lässt uns so freigiebig an seinem enormen Erfahrungsschatz teilhaben und öffnet unsere Augen über jene Horizonte hinaus, die wir bisher nicht zu überschreiten wagten. Oder können Sie ein Lied davon singen, wie es ist, wenn man sich im Anschluss an eine Kaffeefahrt von hemmungslosen Seniorinnen zu einer Runde Lambada nach der anderen nötigen und bei der Gele­gen­heit bis zur Besinnungslosigkeit mit Eierlikör abfüllen lässt? Eben, aber Herr Heuser schon.

Wobei das ja gerade das Abgefeimte an diesem mit allen Wassern gewaschenen Burschen ist: Man sieht ihm den Hallodri nicht an. Und nie im Leben würde man deshalb vermuten, dass er schon als Dreizehnjähriger die Polizei in Atem gehalten hat. Damals, als er von zu Hause ausgebüxt war und sich im Finanzamt versteckt hatte, um dort ein anderes Leben zu beginnen.

Eine bittere Lektion, die Heuser verinnerlicht hat und deren Lehren er in seinem zweiten Leben im Finanzamt nutz­brin­gend anzuwenden weiß. Nun ist er unter den Jägern. Und er kennt sie alle, seine Steuersünder. Die kleinen, die er bei Strafseminaren wie dem sonntäglichen in Dischingen wieder zu vollwertigen Staatsbürgern erzieht, und die großen, die er aus vielen und noch vielerlei Gründen mehr ungejagt laufen lassen muss: weil sie im Bundestag sitzen, weil sie ihr Geld in Liechtensteiner Phantasie-Stiftungen arbeiten lassen, weil sie eine staatlich subventionierte Aktiengesellschaft sind, weil sie Kerosin statt Benzin tanken
Das muss man sich vielleicht so vorstellen wie in der Physik, wo – dort allerdings nicht nur für das ganz Große, sondern auch für das ganz Kleine – eben andere Naturgesetze gelten. Die Welt ist einfach, wenn man sie sich einrichten darf. Und wer wüsste das besser, als Herr Heuser vom Finanzamt, der, wie die vor ehrfürchtigem Staunen stummen und starren Seminaristen erfahren, tatsächlich sogar schon einmal jene über allem schwebende Spezies von Leuten kennen gelernt hat, für die die von ihnen gemachten Gesetze nicht gelten.
Das ist anders als beim dummen, dummen Esel, der von der Wiege bis zur Wurst gleich mehrere Mehrwertsteuerstufen durchlaufen muss. Und das sind die Gefilde, in denen Lachen nicht mehr nur keinen Spaß macht, sondern sogar gefährlich werden könnte. Was Wunder also, wenn auch Herr Heuser zur eigenen Ablenkung lieber in den Garten geht und sich über die Kaninchenplage auf dem Grundstück vis a vis freut oder am Anblick des über die Maßen fetten Nachbarsohns weidet. Sogar auf Mallorca hat er schon versucht zu vergessen, was ihm an Ungerechtigkeiten zu wissen sein unseliger und dazu hin noch verpönter Beruf aufbürdet – mit dem Ergebnis, dass ihm ein von falschen Gerüchten fehlgeleiteter schwuler Animateur den Hof machte.

Und die Moral von der Geschicht? Für Herrn Heuser, einen Mann, der Shakespeare zitieren und Hip Hop performen kann, ist’s die bittere Erkenntnis, dass er nichts und niemandem über den Weg traut außer Quittungen, die sein großes Herz unter dem Bügeleisen zu spüren bekommen, mit dem er die zerrissensten Seelen unter ihnen wärmt.
Süß dagegen das abendliche Erwachen für die vielen Seminarbesucher, die Gernot Voltz in der ARCHE dabei erleben durften, wie er Herrn Heuser spielt: Es gibt sie noch, die Kabarettisten vom alten Schlag, die nicht wie die so genannten Comedians mit der Gesellschaft zusammen das Individuum hetzen, um es wohlfeil zu verlachen, sondern die sich als brillant beobachtendes, gescheit und witzig reflektierendes sowie geschliffen formulierendes Individuum der Mühe unterziehen, sich über die Zustände der Gesellschaft lustig zu machen. Pepitahut ab, Herr Voltz-Heuser.