Blicke unter die grüne Haut


Bericht von Marita Kasischke, Heidenheimer Zeitung vom 05.11.2006 15:21 Uhr


Lesung mit Volker Uhl in der ARCHE



Wer zur Polizei geht, der verlässt diese meist sehr aufgewühlt. Daran ändert sich auch nichts, wenn der Besuch höchst freiwillig erfolgt, so wie dies bei den Besuchern der ARCHE am 1. November-Sonntag der Fall war. Zu Gast war dort Volker Uhl, ein Polizist zwar, aber doch ein ganz besonderer, rief er doch die Internetseite „Polizei-Poeten“ ins Leben, aus welcher schließlich das Buch „Die erste Leiche vergisst man nicht“ resultierte. Hierin hat Volker Uhl Geschichten seiner Kollegen gesammelt, mit denen er in der ARCHE Einblicke in den Polizistenalltag verschaffte, in die Abgründe und Schrecken, die sich denen präsentieren, die der Volksmund so gerne als „Bulle“ abtut.

Dass auch in „Bullen“ Menschen aus Fleisch, Blut und Emotionen stecken, das mag im Alltag in Ver­gessenheit geraten, in Uhls Lesung trat dies allzu deutlich in den Vordergrund. Da war die Geschichte des Kollegen, der den Vater zweier kleiner Kinder nach Afrika abschieben musste, ein Job, der erledigt werden muss, auch wenn die Kaltherzigkeit desselben den Kollegen schier umzuhauen drohte. Da war die blutüberströmte Schwerverletzte in der Tiefgarage, die sich voll Vertrauen auf Hilfe in die Hände des Polizisten begibt, der doch nicht mehr tun kann, als ihre Hand zu halten, um ihr beim Sterben zu helfen.
Das hinzunehmen, ist Polizistenalltag: Irgendwann erlebt es jeder einmal, den ersten Drogentoten, die erste Vergewaltigung, den ersten Mord. Über den ersten Suizid, zu dem Volker Uhl, frisch von der Polizeischule weg, gerufen wurde, kam der Kripobeamte aus Ludwigsburg zum Schreiben, so eindring­lich hat sich ihm das Bild des toten Kaufmannes in der Garage eingebrannt. Die Hand, die ihm einst Bonbons zugesteckt hatte, hatte nun den Zündschlüssel gedreht, um kurz darauf leblos da zu liegen. Und auf solche Bilder bereitet keine Unterrichtsstunde vor, nicht auf die Unsicherheiten, nicht auf die flehenden Blicke der Angehörigen, die eine Antwort zu verlangen scheinen. Ulrich Hefner, Streifen­beamter in Tauberbischofsheim, einer der 25 Autoren des Buches und ebenfalls Gast in der ARCHE, schildert dieses Gefühl in seiner Geschichte um eine psychisch gestörte Frau, die Anzeige um Anzeige aufgibt, als er ihrer Leiche gegenübertritt: „Ich habe eine Uniform, Handschellen, eine Waffe. Aber ich bin hilflos.“ Das Polizeirevier war ihr als einziger Ort zur Kommunikation geblieben – und durch das Nicht-Ernst-Nehmen der Beamten genommen worden. Das ging den Zuhörern an die Nieren, das Schweigen nach der Geschichte bewies es überdeutlich.
Volker Uhl setzte diese Stimmung mit dem Bericht eines Kollegen fort, der einen Menschen erschießen musste, um nicht selbst erschossen zu werden. Und dennoch: „Der Schmerz ist so, als würde ein Angehöriger sterben“. Die „Blicke unter die grüne Haut“, wie sie „Tatort“-Kommissar Bienzle alias Dietz-Walter Steck in seinem Vorwort zum Buch nennt, gewähren Einsichten, die dem Normalbürger sonst verschlossen bleiben, und es geht nicht um schillernde Kommissare wie Schimanski & Co., sondern um ganz einfache Polizeimeister. Das Buch war so erfolgreich, dass jetzt, am 23. November, Teil zwei der Geschichten unter dem Titel „Jeden Tag den Tod vor Augen“ erscheinen wird – ein Tipp für all diejenigen, die die sehr aufwühlende Lesung verpasst haben. Und noch ein Tipp: Das ZDF wird im Kulturmagazin „aspekte“ über die Lesung in Dischingen berichten, voraussichtlich am 24. November.

Nachtrag: Die Ausstrahlung in aspekte war am 17.11.2006.