Scheußlichers Wirtschaftswunderwurscht


Bericht von Annette Grüninger, Heidenheimer Neue Presse vom 15.10.2006 15:23 Uhr


Kabarettist Severin Groebner zappelte sich in der Dischinger ARCHE in 40 verschiedne Rollen. Nicht alle zeigten „liabe Leut“



Lesung des Hobby-Poeten: Severin Groebner trägt in der Dischinger ARCHE eben das „Sinnlose Sommergedicht eines säumigen Sommeliers“ vor. Sehr sinnig… Foto: Siggi Feil




Zwei leere Bierkisten, ein Kassettenrekorder, ein Mikro: Schlichter können die Requisiten eines Kabarettisten kaum ausfallen. Und doch: Während seines knapp zweistündigen Auftritts in der Dischinger ARCHE brachte der Wiener Kabarettist Severin Groebner am Sonntag eine ganze Straße auf die Bühne.

Nein, umgekehrt: „Die Bühne ist keine Bühne, sondern eine Straße“. Oder vielmehr: Die Straße ist auch eine Bühne. Denn in Groebners aktuellem Kabarettprogramm gerät ein an der Bushaltestelle abgestelltes Mikrofon zum Schauplatz absurder Alltagsbanalitäten: ein Speaker’s Corner für gescheite Musiker und musisch Gescheiterte, für schwadronierende Schweißtiere – und „Lauter Liebe Leute“.
Insgesamt sind es nicht weniger als 40 verschiedene Charaktere, die da, untermalt von Verkehrslärm und Vogelgezwitscher vom Band und in schneller Schnittfolge, in einer belebten, mutmaßlich Wiener Straße Mikro und Wort ergreifen: für kurze Statements und langatmige Lebensbeichten, für Petitionen „gegen unmenschliche Pflanzenhaltung“, Hasstiraden gegen Friseure und ihre wortwitzelnden Geschäftsnamen („Kamm in“), missglückte Liebeserklärungen, die „direkt ins Rückenmark treffen“. Und natürlich für reichlich Ich-Inszenierung.

Da ist der Hippie mit Allmachtsfantasien („Wenn ich Diktator war ?“). Da ist der geschäftstüchtige Textilfabrikant, der US-Flaggen in Südostasien nähen lässt, um sie an feurige Demon­stranten im Iran zu verschachern. Und auch der Metzgermeister Scheußlicher darf bei dieser Wiener Melange nicht fehlen, der „Bankerts-Beppe“ aus dem traditionsreichen Familienbetrieb „mit Herz“, der sich mit opportunistischen Fleischprodukten durch die österreichische Geschichte wurstelt: „Nach der Siegeswuascht kam die Wirtschaftswunderwuascht – war dasselbe drin, hat nur a bissl anders ausgschaut“.
Eine andere Stimmlage, eine andere Körperhaltung – und Groebner schlüpft behände in eine andere Rolle, wechselt zu anderen „lieben Leuten“. Falsettstimmchen, zierliches Zupfen an der imaginären Haarpracht – und aus dem schlaksigen Wiener ist die aufdringlich-einsame Susi geworden („Rufst mi an – wennndes ehrlich meinst, hm?“). Geduckte Haltung, nervöses Umherhuschen – und Groebner verwandelt sich nahtlos in den gescheiterten Hobby-Poeten, der an der Bushaltestelle verzweifelt nach ein bisschen Aufmerksamkeit für sein „Sinnloses Sommergedicht eines säumigen Sommeliers“ sucht.

Severin Groebners Kabarettprogramm ist ein Kaleidoskop voll kruder Charaktere, unter­brochen durch Rap-Einlagen und A-Capella-Gesang (mehrstimmig, dank Kassettenrekorder), in denen Groebners flinke Zunge an freien Zügen galoppiert. Eine Typen- und Milieustudie voll bepackt mit 0-Tönen und Gedankensplittern, die der Zuschauer zu einem sinnigen Ganzen erst zusammenpuzzeln muss.
Doch der Mikro­kos­mos, den der Kabarettist da auf der ARCHE-Bühne eröffnete, war durchaus amüsant. Akute Lachanfälle hörte man zwar seltener, es blieb meist beim Schmunzeln, Das aber chronisch.
Ein wenig mag das auch Groebners hektischer Gestik geschuldet sein, seinem Hang, die Figuren all zu grell zu zeichnen und bis ins Absurde zu steigern. Im atemlosen Stakkato reiht der Österreicher dann Wortwitz an Wortwitz, Stab- an Schüttelreim, dass die Buchstaben nur so purzeln. Doch Groebner hatte es nicht schwer, das (diesmal etwas spärlichere) Dischinger Publikum mit seinem geistreichen Wiener Charme einzunehmen – bestand doch von Anfang an zwischen dem Wahl-Münchner mit österreichischem Zungenschlag und den schwäbischen Zuschauern eine Annäherung „auf gleichem, niederen sprachlichen Niveau“. Am Ende ist es dagegen eine strenge hochdeutsche Polizistenstimme aus dem Rekorder, die das Publikum vom Tatort drängt: „Weitergehn, bitte weitergehn, hier gibt’s nichts zu sehen.“ Von wegen!