Auf dem Weg zum solitären Wesen


Bericht von Marita Kaschischke Heidenheimer Zeitung vom 08.07.2020 08:00 Uhr


„KI – Künstliche Idioten“ heißt das neue Programm von Kabarettist Philipp Weber. Und just, als er es fertig geschrieben hatte, kam der Lockdown. Das Publikum im coronabedingten Arche-­Ersatz Egauhalle erlebte also zusätzlich zu einer Uraufführung den ersten Auftritt Philipp Webers seit über drei Monaten. Was hat sich geändert in dieser Zeit? Der Veranstaltungsort gezwungenermaßen: Mit vorgeschriebenem Abstand saßen die zulässigen 99 Personen im weiten Saal der Egauhalle. Die gespannte Erwartung auf den Künstler hingegen, die war wie eh und je.

Und noch eines war beim Alten geblieben: Was Philipp Weber auf der Bühne leistet, das ist schon irgendwie auch ein Fitnessprogramm – für den Künstler selbst das Training Mund – Beine – Hirn, vorgelegt in geradezu atemberaubendem Tempo, für die Zuhörer das Training Ohr – Hirn – Zwerchfell. Dabei hat die Sprechgeschwindigkeit Webers gepaart mit dem Hall in der Halle mehr als Herausforderndes: Da musste schon höllisch aufgepasst werden, um keine der prestissimo präsentierten Pointen zu verpassen.

Unterhosen mit Silberfäden

Philipp Weber reihte sie aber auch aneinander, die als Fortschritt bezeichneten Dinge, die uns alle zu echten Idioten machen. Vom Laubbläser über Theater als letzten möglichen Ort für gesellschaftlich legitimierte digitale Abstinenz, vollautomatisierte Klobrillen mit Vitalabfrage, selbst fahrende Autos mit Aromatherapiediffuser und zehn Massagevarianten, Unterhosen mit Silberfäden gegen Strahlung bis hin zum überzüchteten Chihuahua, den der Mensch deshalb so schätzt, weil er noch kaputter ist als der Mensch selbst.

Und immer wieder Webersche Gesetze zum Fortschritt wie dasjenige, dass eben Fortschritt nichts besser oder schlechter mache, nur anders. Oder das, dass aus jedem Können irgendwann ein Zwang wird. Und dass Fortschritt Träume erfüllt, man müsse eben nur aufpassen, was man so träumt.

Viel zu lachen gab es an diesem Nachmittag, manchmal verhalten, um ja nicht den nächsten spannenden Gedanken zu verpassen, sehr oft deshalb, weil abermals ein Spiegel vorgehalten wurde, der reflektiert, was man gerne nicht gesehen hätte. Und ganz am Ende der Satz, der nicht als Pointe weggedeutet werden kann und auch nicht wird, sondern einfach nur den Beifall der Zustimmung erhält: Wenn Corona eines gezeigt habe, dann doch dies, dass der Mensch die Begegnung braucht, den anderen Menschen, den die künstliche Intelligenz nicht zu ersetzen vermag. Ebenso wenig wie Humor, Bewusstsein, Kreativität.

Düstere Aussichten für Künstler

Keine Pause gab’s, und am Ende ging’s husch, husch nach Hause. Also jedenfalls für die Zuhörer. Philipp Weber musste ja noch mal ran: an die nächste Trainingseinheit in der Egauhalle mit einem neuen Publikum. Nicht einfach, und doch: Philipp Weber war fast gerührt über den Zuspruch, bekannte er doch frank und frei, für Künstler stünden womöglich düstere Zeiten bevor. Die Verantwortung dafür teilt sich Corona allerdings mit der zunehmenden Entwicklung des Menschen zu einem solitären Wesen. Ausgelöst durch die Verlockungen der Digitalisierung und künstlichen Intelligenzen. Solange Menschen aber die sinnliche Erfahrung so zu schätzen wissen wie in Dischingen und Menschen ihnen diese möglich machen, so lange kann es nicht allzu duster werden. „Der Mensch verändert die Kultur, und die Kultur verändert den Menschen“, auch das schließlich ein Webersches Gesetz.

Philipp Weber und die KI
Philipp Weber verkündet die Weberschen Gesetze
Philipp Weber in der Egauhalle
Fortschritt macht nichts besser oder schlechter. Er Macht nur anders.
Corona-Ersatz in der Egauhalle
Webersches Gesetz: Aus jedem Können wird irgendwann ein Zwang.