Literarische „Hirn-Attacken“ mit Schauspieler-Paar Veronika Faber und Kurt Weinzierl bei der Matinee in der Dischinger ARCHE
„Am liebsten würde ich die beiden auf meine Bettkante setzen und vorlesen lassen“, schwärmte Inge Grein-Feil vom Dischinger Kulturkreis. Doch nicht als Schlaftabletten, sondern vielmehr als Muntermacher erwiesen sich Veronika Faber und Kurt Weinzierl bei der literarischen Matinee in der Dischinger Arche. Bewaffnet mit Texten von Tucholsky über Ringelnatz bis Valentin attackierte das Schauspiel-Paar Hirn und Herz, bis selbst der nüchterne Verstand bedingungslos kapitulierte.
„Zum Lachen und zum Heulen“, so der programmatische Untertitel der „außerplanmäßigen Veranstaltung“ beim Dischinger Verein »Freunde schaffen Freude«. Ob Grein-Feil nun vor Glück lachen oder heulen sollte, war ihr selbst am Sonntagvormittag noch nicht ganz klar: dank eines verwegenen Überraschungscoups war es ihr gelungen, die beiden Grimme-Preisträger („Die Piefke-Saga“) bei einem Besuch in der Münchner Lach- und Schießgesellschaft ad hoc zu einer Matinee samt „Hirn-Attacken“ zu rekrutieren.
Und diese fuhren dort literarische Großgeschütze auf, dass die graue Masse pumpte und pulsierte, bis sich das Publikum den Lachsalven ergab, wie der Kriminelle dem ermittelnden Kottan.
„Es lastet auf dieser Zeit der Fluch der Mittelmäßigkeit“, zitierte der in München lebende Südtiroler Weinzierl den Berliner Tucholsky und betonte dessen Gültigkeit für die Gegenwart. Auch Weinzierl fluchte (ein bisschen) und frotzelte (umso mehr), gab ganz den mürrischen Grantler, der jedoch die Grenze des Anstands nie überschritt und mit dem herben Charme eines Tirolers meckerte, dass sich die Lachfalten wie Gletscherspalten durch die Gesichter seiner Zuhörer zogen.
Auf gegenseitige Neckereien mit seiner Lebensgefährtin Veronika Faber und den Kampf um die Leselampe folgten literarische Leckereien: „Die Lippe sprüht, das Auge leuchtet, der Bart des Zuhörers wird angefeuchtet“ – und schon galoppierten Worte von Wilhelm Busch, Christian Morgenstern, Alfred Polgar oder Joachim Ringelnatz durch die Arche.
Wohl temperiert, eindringlich, ja fast hypnotisch die Stimme Weinzierls, die knarrt, wettert, sich überschlägt und dann wieder sanft säuselt. Bilder werden lebendig, fluten durch die Arche. Mit beruhigender, heiserer Fistelstimme schläfert er sein Publikum sukzessive ein, um es brüllend und mit Schaum vor dem Mund wieder wachzurütteln. Frech und flott seine Begleitung, die ihn in irrsinnige Dialoge verwickelt, achtsam jede seiner Gesten und Mimiken aufschnappt, süffisant darauf eingeht und wieder Vorlagen für gepfefferte Konter liefert.
Die „Hirn-Attacken“ streifen Alltägliches und Außergewöhnliches, reichen von Valentins Hypochonder bis Ringelnatz‘ Schweinchen, das in der Toilettenspülung das Meer gefunden zu haben glaubt. Mal subtil, mal mit dem Vorschlaghammer werden Hirn wie Herz angeregt und aufgeweicht. Dabei erweist sich die Fundgrube Tucholsky als unausschöpflich: Das Einhorn frisst die Lilien im Vorgarten, der nervende Nachwuchs löchert den Vater, bis man nur noch Käse versteht, doch die Herkunft seiner Löcher noch immer nicht geklärt ist. Und wenn die Fabelwesen auf die Hörner genommen werden, endet die scheinbar fürsorgliche Ehefrau in der Zwangsjacke. Die graue Masse schüttelt sich und schüttet großzügig Endorphine aus – die vollbesetzte Arche wird davon regelrecht überschwemmt.
„Oh, wie gern man doch küsst, wenn die Frau woanders ist“, spöttelt Weinzierl zum Abschied von einem „hoch angenehmen Publikum“. „Jetzt überleg dir ganz genau, was du sagst“, gibt sich Faber entrüstet und zerrt den hüstelnden Schwerenöter von der kleinen Bühne der Arche. Vollblut-Schauspieler eben, die derzeit ein Bühnenstück von Grillparzer überarbeiten und einstudieren – das auch in Dischingen zu sehen sein wird? „Viel zu ordinär für die Arche“, meint Weinzierl, stützt sich auf seinen Gehstock – und atmet den tosenden Applaus tief ein.