Wenn uns Marx auf der Autobahn begegnet


Bericht von Manfred F. Kubiak, Heidenheimer Zeitung vom 20.01.2015 15:34 Uhr


Hubert Burghardt beweist sich in der ARCHE als echter Kabarettist



Trinkt auf die „marktkonforme Demokratie“: Hubert Burghardt in Dischingen.


So oft begegnet man ihm nicht mehr in der freien Wildbahn. Der Kabarettist ist selten geworden. Der echte Kabarettist. Komiker und Possenreißer haben ihn aus seinem angestammten Revier so gut wie vertrieben und machen seither mit Erfolg großen Teilen des Publikums weis, dass es sich bei ihnen um mehr oder weniger nichts anderes handelt als um das, was vorher schon da war.

Tja, man muss die Unterschiede halt nur so lange weg reden, bis sie nur noch bemerkt, wer darauf besteht. Der ist dann ein Querulant, der sich partout ausgrenzen will. Und darum ein wohlfeiles Opfer für den unechten Kabarettisten. Denn während bei dem – und das ist nach wie vor der deutlichste Unterschied zwischen einem Comedian und einem Kabarettisten – die Gesellschaft über das Individuum lacht, macht sich beim ech­ten Kabarettisten das Individuum über die Gesellschaft lustig.

Gut, das ist inzwischen auch eine erstere Sache, als es mal war. Das merkt man auch dem Auftritt des fabelhaften Hubert Burghardt am Sonntagabend in der ausverkauften ARCHE in Dischingen an. Denn es ist ja eher so, dass man sich mittlerweile am individuellsten in der Masse austobt. Wie sonst wären Phänomene wie freiwillige Pflichtmitgliedschaften in regelrechten Glaubensgemein­schaften wie Facebook möglich? Und was man denken soll und tolerieren muss, wird einem dann schon rechtzeitig gesagt werden.

Lustig ist es, wenn Hubert Burghardt dazu einfällt, dass Karl Marx schon wusste, dass die herrschende Meinung immer auf den Ideen der Herrschenden basiert. Noch lustiger wird es, wenn er das auch dem überwundenen Sozialismus gegenüber womöglich nach wie vor furchtsam eingestellte Publikum mit dem Hinweis beruhigt, dass Goethe mehr oder weniger dasselbe gesagt hat. Nur etwas poetischer formuliert.

Goethe übrigens ging es zu seinen Lebzeiten durchaus ähnlich wie Hubert Burghardt und dessen Figuren heute. Da konnte ein Hegel nach der Revolution in Frankreich noch so sehr darauf beharren, dass erst die neumodische Erfindung mit Namen Gesellschaft die Freiheit ermögliche. Goethe fühlte sich in seiner Freiheit von der Gesellschaft dennoch eher bedroht.

Insofern tut ein echter Kabarettist der modernen Neuzeit womöglich gut daran, sich die Tarnkappe aufzusetzen und sein Individuum, das die Gesellschaft verspottet, mit einem Individuum von der Art zu besetzen, über das zu lachen sich die Gesellschaft angewöhnt hat. Das klingt komplizierter, als es ist. Und Hubert Burghardt fällt es geradezu atemberaubend leicht, diesen Kunst­griff auch bis‘ in die allerletzten Winkel der von seinen Figuren be­leuchteten Abgründe anzuwenden.

Bei Burghardt ist es also dann der Trinker, der über die im Stadium der Auflösung befindliche Demokratie doziert. Wobei es letztendlich nur noch darum geht, ob es die Deutschen noch alleine schaffen, oder ob man warten muss, bis das die EU vollends erledigt. Was so ein Trinker halt daherredet…

Und bei Burghardt ist es der hühnerhaft aufgeschreckt durch lupenartige Brillengläser linsende Nachdenkliche, der zu einen Parforceritt durch den Dschungel der Toleranz ansetzt und sich, noch ehe er ins Herz der Finsternis mit seinen politisch als alternativlos postulierten Toleranzvorschriften vorstoßen kann, notwendigerweise in den Fallstricken dessen verheddert, was einem der“ Anstand zu ertragen und erdulden gebietet. So darf denn jeder, der sich nicht waschen will, auch stinken. Sogar wenn er sich in der Straßenbahn neben uns setzt. Und so wird ein Volk, solange es nur nach wie vor auf der Autobahn einen mit 100 vor ihm Fahrenden mit der Lichthupe von der linken Spur jagend darf, alles andere tolerieren, was man ihm sagt. Der Rest ist Schweigen. Oder Nachdenken. Hubert Burghardt ist so frei, das seinem Publikum noch selbst zu überlassen.

Währenddessen setzt er sich ans Klavier, räsoniert darüber, wie das so „Mit 50“ ist und was seither geschah mit einem selbst oder den Weggenossen. Bei solchen Gelegenheiten darf man dann nicht nur die ebenso klar wie geschliffen formulierte Sprache genießen, derer sich Hubert Burghardt in seinem neuen Programm „Nachher will’s keiner gewesen sein“ bedient. Man darf auch feststellen, dass es dieser echte Kabarettist nicht nur nach außen, sondern auch nach innen zu denken versteht. Große Klasse.