Vierte Dimension und Leberkäs


Bericht von Marita Kasischke/Heidenheimer Zeitung vom 19.05.2015 10:51 Uhr


ARCHE Dischingen: Luise Kinseher begeisterte mit ihrem Anti-Stress-Programm „Ruhe bewahren“


Luise Kinseher, nicht nur als „Bavaria“ beim Derblecken auf dem Nockherberg eine gestandene kabarettistische Größe, überzeugte mit ihrem Programm „Ruhe bewahren“ in der Dischinger ARCHE
Luise Kinseher, nicht nur als „Bavaria“ beim Derblecken auf dem Nockherberg eine gestandene kabarettistische Größe, überzeugte mit ihrem Programm „Ruhe bewahren“ in der Dischinger ARCHE

Wellnessen, balancen, relaxen – der moderne Mensch kommt einfach nicht zur Ruhe. Die bayerische Kabarettistin Luise Kinseher hat allerdings ein Gegenmittel gegen derlei Stressfaktoren entwickelt, nämlich ihr neues Programm „Ruhe bewahren“.

Das präsentierte sie am Sonn­tagabend in der ausverkauften ARCHE in Dischingen und behauptete kühn gleich vorneweg, das Programm stelle keinerlei Anforderungen, man möge sich einfach vorstellen, man säße vor dem Fernseher: „Und wenn Sie einschlafen, dann ist das für mich ein Riesenerfolg.“

Diesen Riesenerfolg zu verbuchen, gönnte ihr das Publikum allerdings nicht. Nein, es blieb hellwach angesichts der geballten Ladung Weiblichkeit, die da in Form eines effektvollen Damentrios auf die Zuschauer einströmte: Mary aus Bavary, die philosophierende Schnapsdrossel im hellblaurosageblümten Morgenrock, unterhielt ihr Publikum mit den verblüffendsten Erkenntnissen in höchst verwaschener Aussprache.

Helga Frese, die kühle Alte aus dem hohen Norden, referierte aus 60 Jahren Ehe, in zuletzt sogar glücklichen Jahren, seit Gatte Heinz Demenz bekommen und die Fähigkeit zum Widerspruch verloren hat. Jetzt herrscht traute Eintracht – und obendrein gibt’s auch noch Betreuungsgeld, weil Helga voll liebender Zuwendung auf den Kita-Platz für Heinz verzichtet.

Und schließlich die namenlose Hauptperson, der Münchner Schicki-Micki-Vamp, dermaßen erotisch und obendrein noch intelligent, dass es ein wahres Wunder ist, dass sie noch als Single herumläuft. Damit wird ohnehin bald Schluss sein, denn schließlich ist ihr im Fahrstuhl der Mann ihres Lebens begegnet. Und jetzt, nach diesem Moment, der sowohl Blick- als auch Handynummernaustausch beinhaltete, wartet sie, das Handy nicht aus der Hand legend, auf den Anruf.

Und während sie im Warten alle bekannten Stadien durchgeht von „der ist für mich bestimmt, ich spür’s“ bis hin zu „glaub ja nicht, dass ich Dir nachlauf“, währenddessen unterhalten Mary, Helga und sie selbst das Publikum mit Gedanken, die zwar harmlos daherkommen, aber doch ganz schön pointengeladen sind: Über Stirn-Hirn und Reptilienhirn, über die Kraft der Vorstellung, die verhindern möge, dass Markus Söder bayerischer    Ministerpräsident werde, über die Lust an Googeln und Surfen, die bald zur Google-Brille führen wird, sodass ständig in allen Lebenslagen die Informationen, Bilder und Videos nur so reinschießen, obwohl in der Zeit ja auch die bislang ungenutzte Hirn­masse verwendet werden könnte, über all das Wesentliche, das achtlos vorüberziehen muss, weil ständig nur auf das Smartphone gestarrt wird, über Fitness-Apps und Quantenphysik, über die vierte Dimension und Leberkäs.

Natürlich spielt Luise Kinseher, die „Mama Bavaria“ vom Nockherberg, alle diese Figuren, und wie sie sie spielt: Da ist jedes „Na-ja“, jedes Lachen, jede Geste auf die jeweilige Persönlichkeit zugeschnitten, passt haargenau und verblüfft ein ums andre Mal. Und singen tut sie auch noch, und das gar nicht mal schlecht – es sei denn, sie singt, wie in der Zugabe nur, weil sich sonst die Gema-Pauschale für sie nicht rentiert. „We have all the time in de world“ sang sie da, sehr schräg daneben, mit höchst eigenwilligem Tanzstil, und fand selbst: „Gell, das zieht sich schon a bisserl?“

Das Publikum jedenfalls beklatschte und belachte auch – das wie das gesamte fein gestrickte Kabarettprogramm reichlich und amüsierte sich auch sehr über das neckische Zusammenspiel zwischen Inge Grein-Feil und Luise Kinseher, das die Künstlerin auf die Idee brachte, das nächste Kabarett miteinander als Duo zu gestalten.

Das Publikum hätte sicher nichts dagegen, hieße es doch vor allem, dass Luise Kinseher wiederkommt. Zusammen mit Mary und Helga und welche Figuren sie auch immer gerade im Schlepptau hat.

Und bis dahin kann es ja Kinsehers neu entdeckte Fitnessprogramme ausprobieren. Nämlich Waiden. Oder Stüberln, wie Mary findet. Oder einfach Archen, wie die Zuschauer nach diesem abermals gelungenen Abend hinzurügen könnten.