Spitz ins Mark


Bericht von Marita Kasischke/ Heidenheimer Zeitung vom 19.09.2018 08:00 Uhr


Fatih Cevikkollu beeindruckte am Sonntag in der ARCHE mit seinem Programm „Fatih Morgana“ – er hatte Pointen auf Lager, die das Lachen verstummen ließen.


Fatih Cevikkollu bewies in der Dischinger Arche, dass Kabarett auch anders kann: nachdenklich und mit betretenem Schweigen.
Fatih Cevikkollu bewies in der Dischinger Arche, dass Kabarett auch anders kann: nachdenklich und mit betretenem Schweigen.

Perspektivenwechsel forderte der Kölner Kabarettist Fatih Cevikkollu am Sonntagabend in der Arche. Selbigen bietet er in seinem Programm „Fatih Morgana“ bereits mit Blick auf das Genre Kabarett: Wer sagt denn, dass dabei immer lauthals gelacht werden muss? Es kann ja durchaus auch einfach mal betretenes Schweigen .herrschen.
Genau das machte sich unter den rund 110 Zuhörern des Öfteren breit bei dem, was sich Cevikkollu an Unverdaulichem zurechtgelegt hatte‘ und genüsslich zelebrierte. Wer über Trump und Erdogan lache, könne auch durchaus darüber lachen, dass deutsche Ex-Minister in Wirtschaftsposten sitzen, was doch besonders witzig werde, wenn es sich dabei um Ex-Verteidigungsminister und Ex-Entwicklungsminister bei einem Rüstungskonzern handelt. Schweigen. Cevikkollu wurde durchaus konkret: Franz Josef Jung und Dirk Niebel sind für Rheinmetall tätig. „Das wussten Sie nicht?“, kommentierte Cevikkollu, immer das charmante Lächeln im Gesicht, die Stille im Raum. Und setzte nicht minder charmant nach: „Und Sie denken, Sie können türkische oder amerikanische Politik beurteilen?“


Auf herzhaftes Lachen folgt Stille

Statt Zwerchfellanreizen erhielten die Zuhörer den Spiegel vor die Nase gehalten; sie blickten auch mutig hinein und unternahmen gar nicht den Versuch, das einfach wegzulachen. Das war schon verteufelt gut, wie Cevikkollu dies immer wieder in sein Programm streute: Scheinbare Harmlosigkeiten oder platte Albernheiten waren offensichtlich nur dazu da, den Zuhörer in Sicherheit zu wiegen, um dann mit seinen Spitzen besonders perfide direkt ins Mark zu treffen.
Die Träume von der guten, alten Zeit seien es doch gewesen, die Amerikaner von einem endlich wieder großen Amerika träumen und deshalb Trump wählen ließen, und die gleichen Träume haben die Briten für den Brexit stimmen lassen, sinnierte Cevikkollu und hatte dabei noch die Lacher auf seiner Seite. Freilich gingen seine Überlegungen weiter: Auch in Deutschland wäre das der Fall, könnte man sich nur darauf einigen, was denn die gute alte Zeit war – unter Adenauer, Honecker oder Hitler? Wie schnell doch das eben noch herzhafte Lachen verstummen konnte, ein Phänomen, das häufiger an diesem Abend zu beobachten war.
Er als Muslim – „dabei bin ich gerade mal ein U-Boot-Gläubiger wie viele von Euch, ich tauche auch nur einmal im Jahr zum Gottesdienst auf“ – werde immer wieder um Statements über islamistischen Terror gebeten mit der deutlichen Erwartungshaltung, er möge sich davon distanzieren. „Müsst ihr das dann nicht auch wegen Chemnitz?“
Freilich gab es genügend strapazenfreie Themen, die durchaus Lacher generierten. Die Kontroverse zwischen digitalen Eingeborenen und digitalen Migranten, die nach einem W-Lan-Kabel fragen, beispielsweise, oder auch die sinnbildliche Fäkalie, die genüsslich von jeder möglichen Richtung kommentiert wird, sogar vom Papst, weil möglicherweise darin Heiliger Stuhl stecke. Albern und scharfsinnig, Fatih Cevikkollu hat beides drauf. Und er serviert beides wohldosiert und strategisch klug und erreicht damit die womöglich beste Wirkung, die Kabarett überhaupt haben kann: Sich direkt angesprochen fühlen, dem konnte sich wohl keiner der Zuhörer entziehen.
„Wer die Wahrheit sagen möchte, muss es lustig tun, sonst wird er getötet, zitierte Cevikkollu Oscar Wilde. Wenn dies als Motto für sein Programm gelten soll, so muss ihm entgegengehalten werden, dass er weniger lustig als unmissverständlich unangenehm war. Und dennoch ließ er nach mehr als zwei Stunden Programm sein Publikum begeistert, beeindruckt und betroffen zurück, freilich mit einer Hausaufgäbe: „Ab jetzt :müssen Sie selbst denken.“