„Kafka auf Speed“


Bericht von Dr. Manfred Allenhöfer, Heidenheimer Neue Presse vom 17.05.2009 22:21 Uhr


Kabarettist Claus von Wagner verbindet in der ARCHE bei „Drei Sekunden Gegenwart“ Brillanz mit Bodenständigkeit


Schräger Vogel: Kabarettist Claus von Wagner überzeugte in der ARCHE mit Originalität, Witz – und Verstand.
Schräger Vogel: Kabarettist Claus von Wagner überzeugte in der ARCHE mit Originalität, Witz – und Verstand.


Ein herausragender Kopf – und doch mit völlig unverkrampftem Kontakt zum Publikum: Kabarettist Claus von Wagner machte sich in der ARCHE einen Abend lang ebenso helle wie unter­halt­same Gedanken um „Drei Sekunden Gegenwart“.

Dieser Mann traut sich was: In einer fingierten Gerichtsverhandlung verurteilt er „Gesell­schaft“ und „Politik“, mit „den Umständen“ in der Krise gemeinsame Sache zu machen. Das klingt nun furchtbar abstrakt, ja verkopft – aber Claus von Wagner macht das zwar hochintelligent, aber spielerisch brillant – und zum Schreien komisch. Er ist ein Nachdenkli­cher, der schlicht „die Gegenwart“ zum Thema macht – in einer tempo- und gedankenreichen, gewitzten Ein-Mann-Inszenierung. In der ARCHE war wieder mal Kabarett – als feinstes Vergnügen!

„Drei Sekunden Gegenwart“ nennt von Wagner sein temporeiches Programm; und das bezieht er auf den schmalen Spalt „jetzt“ zwischen Zukunft und Vergangenheit.
Nach einem Prolog mit von Wagners kabarettistischem „Ich“ und kurzem Dunkel kommt da ein 31 jähriger Joachim Wagner auf die Bühne. Und der ist, wie das für Männer dieser Generation ja abgemachte Sache scheint, ein Loser. Kein Job („selbstständig!“) und perspektivlos; seine Partnerin Penthesilea hat er rasch an einen gebissfletschenden Pseudoerfolgsmann verloren – und jetzt kämpft er um Zugang zu seiner zweieinhalb jährigen Tochter Karla (Zweitnamen: Penelope). Ihr will er sich, die Gegenwart, ihre Zukunft erklären, überhaupt: ein Verhältnis herstellen. Allein: Die „Umstände“ lassen auch dies nicht zu.
„Joachim“ räsoniert und polemisiert, er reflektiert und regt sich auf, er durchschaut und vernebelt. Er taucht ein in eine rasante Progression des Absurden, fühlt sich wie „Kafka auf Speed“. Auf vielen Ebenen. Z. B. hat er die Geburt seiner Tochter verpasst, weil er einen 500-Euro-Job angenommen hat – jetzt hat er fast 10.000 Euro Schulden wg. seines Kampfes um Zugangsrechte zu Karla. Das ist ein kabarettistisch heiteres, doch tragisches Durchstarten ins soziale und geistige Elend eines 31 jährigen, der doch mal, da seine Eltern schon Akademiker waren, zur gymnasialen „Elite“ geboren war.
Er gräbt sich ein in die unterschiedlichsten Bereiche der „Gegenwart“ – und formuliert dazu immer wieder brillante Apercus. Etwa, wenn er auf das Geschäftsmodell „Gewinne machen mit Schulden“ eingeht und sinniert: „Kein Geld hast Du ja unendlich viel!“
Oder wenn er seine Karla altersgerecht aufklären möchte über die unechten, ungerechten Zeitläufe und „Kaspar und die Syphilis“ spielt. Oder zurückblickt auf anekdotische Schilderungen des Großvaters:
„Weltkrieg kann auch Spaß machen“.
Dabei kommt er immer wieder zu der Erkenntnis: „Die Welt ist nicht kompliziert“. Dennoch versteht er sie nicht und kann sie seiner Karla schon gar nicht vermitteln.

Im blühenden Frühsommer Dischingens („der Ort ist so schön übersichtlich!“) zaubert er, mit Lichterkette und Blockflöte, (natürlich ironische) Weihnachtsstimmung auf die Bühne.
Und immer reflektiert er das schwierig gewordene Verhältnis von Mann und Frau, das seine Malaise zum Gutteil mitverschuldet hat. Er kapituliert immer wieder vor der unbrechbaren Dominanz seiner Penthesilea und bekennt, sich ihr unter­geordnet zu haben: „Sie hat mir prozessoptimierte Verhaltensmuster anempfohlen“ – dennoch ist die Beziehung bald geplatzt. Und dann ist noch nicht einmal der Zugang zu seiner Tochter geblieben.
Zur „Politik“, die er ja zum Schluss gar als sich verteidigende Allegorie in eine Gerichts­ver­hand­lung einbindet, fällt ihm der provokant-resignative Satz ein: „Demokratie ist, wenn man trotzdem wählt“. Und nicht anders: kann man sein Fazit zur verhandelten „Gegenwart“ verstehen: Leben ist, wenn man’s trotzdem lebt. Und Zeitgenossenschaft, wenn man leidet, trotzdem reflektiert – und vorwärtsschaut.
Claus von Wagner ist ein hochintelligenter und doch empfindsamer Kopf. Ganz unprätentiös brillant spielt er seine „Drei Sekunden Gegenwart“ durch, ohne sich, wie so oft bei ja auch in der ARCHE oft zeitkritischem Kabarett, von Pointe zu Pointe zu hangeln. Sein Programm ist ein durchdachtes, durchkonstruiertes Ganzes; er spielt, stellt dar, statt nur eigene Texte zu rezitieren.
Und so kann er als Zugabe auch keine paar Sätze hinzu addieren, sondern schlüpft zurück in die Rolle des Prologs, das kabarettistische „Ich“ des Claus von Wagner. Und wieder brillant.
Man kann schon verstehen, wenn etwa Dieter Hildebrandt ihn für eine herausragende Nachwuchskraft des deutschen Kabaretts hält. Das ist er aber auf eine sehr eigenständige, nachdenkliche und uncomedyhaft unaufdringliche, doch sehr kunstvolle Weise. Claus von Wagner hat dennoch Breitenwirkung – in der ARCHE konnte er sein Publikum begeistern.