Glänzende Stumpfheiten


Bericht von Dr. Manfred Allenhöfer, Heidenheimer Zeitung vom 05.01.2010 13:42 Uhr


Kulturauftakt in der ARCHE: „Derblecker“ Holger Paetz präsentiert ein feines „Krisenfest“



Der Derblecker ist eigentlich ganz kultiviert: Holger Paetz kam in die ARCHE – zum „Krisenfest“. Und gab sich selber beileibe nicht als krisensicher. Am Tag zuvor hatte der Nockherberg-Autor eine Dreiviertelseite in der Süddeutschen, aus der er auch ein ganz klein wenig zitierte.

Am Samstag hatte der in München lebende Kabarettist, der Nockherberg-Hauptderblecker Holger Paetz, eine dreiviertelseitige „Neujahrs-Vorschau“ in der großen Zeitung seiner neuen Heimatstadt – tags drauf gastierte er in der ARCHE.

Macht nix, dass er das eine oder ein Anderes aus diesem Zeitungsartikel auf dem Härtsfeld recycelte.

Macht auch nix, dass man ein paar kabarettistische Blicke hinter die Arbeit und die Halbfreizeit der Münchner Redaktionskollegen zwar genoss, aber vielleicht doch auch einen Hauch von illoyal finden konnte – obgleich es hier natürlich keinen gibt, der dem dort glossierten leitenden Redakteur „Dr. Schwanzki“ auch nur irgendwie ähneln könnte.

Nein, mit Holger Paetz kam ein feingeistiger und dito -sinniger Beobachter großer und banaler, politischer und alltäglicher Begebenheiten in die Arche. „Eine Krise kann jeder haben. Was uns zu schaffen macht, ist der Alltag“. zitierte Paetz programmatisch irgendwann mal Anton Tschechow.

Paetz besitzt ein begeisterndes Sprach- und Sprechbewusstsein. Eher leise und zurückhaltend, mit dazu passenden kleinen, feinen Gesten, spürt er allerlei Verzwickt- und Vergeigtheiten unserer Sprache und unseres Alltags nach. Mit feingliedrigen Händen und feingegliedert im Kopf, verzweifelt er „auf der Suche nach schönen Gedanken“.

Der Ex-„Lach- und Schieß-Gesellschaftler“ mit der randlosen Brille sinniert etwa über die „Unausgefranstheit“ der stadtnahen Isar ebenso wie über „Doppel-Haus-Hälften“; er leidet an vielerlei Dummheiten im weit- wie provinzstädtischen Alltagsleben. Paetz ist so etwas wie der Karl Kraus im oberflächlich-gedankenlosen, unterhaltungssüchtigen 21. Jahrhundert.

Es sind keine großen Geschichten

Es sind keine großen Geschichten, die er erzählt, keine umwerfenden Kalamitäten; er verzichtet auf große Attitüden ebenso wie auf ebensolche Pointen: Fein ist sein zweistündiges Auftreten, sein Humor, sein Gespür fürs Unechte und Gekünstelte. Und doch unterhält er bestens und schenkelschonend – distanzierender Intellektualismus ist dem gescheiten Unterfranken fremd.

Was sind seine Themen, seine Thesen? Gut, politisch ist er schon: Er ist ein kabarettistischer Möger von Angela Merkel, aber auch Claudia Roth bekommt ein Liadl. aber er penetriert das nicht. Er kann genauso gut die scheinbar banale Erinnerung an den Turnunterricht seiner Schulzeit zum rezeptiven Vergnügen machen. Er thematisiert und praktiziert den Zungenschlag seiner eigenen Heimat Unterfranken – und erntet größte Heiterkeit.

Brüller und Schenkelklopfer provoziert Paetz keine; er brilliert mit feinen Preziosen aus dem Alltag. Er thematisiert die „Seinskrise als Dauerzustand“, folgerichtig heißt sein feines Programm „Krisenfest“. Man darf das so doppeldeutig nehmen wie etwa seine Nummer vom „Krisenherd“ in der heimischen Küche. Alltagsmiseren sind sein ka­barettistisches Revier, in dem er sich treffsicher bewegt – etwa auf der Rolltreppe am Münchner Marienplatz, „unterjocht von der Willkür eines fremden Hinterns“ direkt vor seiner Nase.

Man lernt, wie begehrt „ein halber Schwabenlaib“ sein kann oder wie befremdlich das „Wams“ am Leib der ersten Bun­deskanzlerin, die zudem „eine Frau“ ist – ein Zeitungszitat, aha.

Und er gesteht partielle Anpassungen: Sein Hirn sei quasi „Bauerwartungsland in der Deppenkultur“. Ein ironischer Song, selbstbegleitet auf der Gitarre, apostrophiert: „Mainstream find i saugut“.

Paetz passt prima aufs Härtsfeld

Aber auch da packt er nicht die Klatsche aus und bemüht Deutschlands Suche nach der Superblamage kein einziges Mal. Paetz‘ Alltagsparaden und -Scharaden bleiben schenkelklatscherresistent.

Paetz passt prima auch aufs Härtsfeld, wo in der angebrochenen fünften Jahreszeit ja eher eine andere Art Humor zelebriert wird. Inge Grein-Feil hatte in der Sache recht, als sie vorab einen „sensationellen“ Auftakt des Arche-Jubiläumsjahrs ankündigte.

Doch nicht im Ton: Solch superlativisches Wort hat Paetz in seinem Programm nicht bemüht. Nicht, dass der Feindenker sich zu fein wäre für solch lauten Begriffe, So kann er schon mal das  „meistenteils hängende“ männliche Primärmerkmal als primäres Friedenssymbol benennen oder die Geschichte von Gott und seinem gefolterten Sohn als „unglaublich“ ansprechen – gedankliche Dreistheiten schließen seine Feinheiten nicht aus. Aber seine glänzenden Stumpfheiten bleiben im Ton immer moderat.

Paetz ist ein ebenso feiner wie freier Radikaler. „Aus Null mach Eins“ lautete die sinnige, nach diesem Abend auch als mehrdeutig erkannte Überschrift in der Süddeutschen Zeitung vom letzten Samstag.