Dischingen? Herrliche Stadt!


Bericht von Jens Eber, Heidenheimer Sonntagszeitung vom 06.01.2006 15:41 Uhr


Der Kabarettist Philipp Weber begeistert in der ARCHE mit einer temporeichen Vorstellung





DISCHINGEN. Das ging ab wie eine verspätete Silvesterrakete: Mit „Schief ins Leben“ markierte der Kabarettist Philipp Weber am Dreikönigstag, 6. Januar, in der ARCHE einen grandiosen Start ins Jahresprogramm des Dischinger Kulturkreises. Dank seiner so sympathischen wie frechen und temporeichen Vorstellung nahm Weber den einmal mehr vollbesetzten Saal im Sturm.

Die jungen Leute um die 30 haben’s nicht leicht. Nehmen wir einen wie Philipp Weber: Gerade 30 geworden, den langen Zopf noch am Kopf, das Staatsexamen für Biologie und Chemie dafür schon in der studentischen Army-Tasche. Er könnte jetzt Leh­rer sein oder sich „von pickeligen Bankangestellten“ mit Finanzplänen versorgen lassen. Er könnte sich auch der Politik widmen, aber als Kind der Neunziger hat er das Kreuz eines Alt-68er-Vaters zu tragen, der ihn ständig auf dem Handy anruft („Ja, Babba, ich bin in Dischingen, herrliche Stadt!“) und mit Ratschlägen über Ehe und Wagenpflege versorgt. Und er ist andererseits schon zu alt, um Fotohandys nicht bescheuert zu finden: „Mein Opa hat früher auch ins Waffeleisen gebabbelt, aber nur, wenn die Medikamente schlecht eingestellt waren.“
Webers Generation ist also „schief ins Leben“ geraten, wie Weber in seinem zweiten Solo-Kabarett­programm richtig feststellt. Er wuchs nicht nur mit einer CSU-Kommunalpolitikerin als Mutter auf und lag „unter einem Laubsäge-Mobile von Franz-Josef Strauß“, sondern kannte nichts als Kohl, bis Rot-Grün zur ernüchternden Erkenntnis rührte: „Jetzt haben wir Veganer-Parkplätze und Kühe, die wegen sexueller Belästigung beim Melken klagen können. Aber wurde nur eine Waffe weniger exportiert?“
Auch politisch bedenkliche Entwicklungen unserer Zeit sieht er pragmatisch: Man müsse nicht mehr in den Irak fahren, um sich entführen zu lassen, das könne nun auch die CIA auf der Schwäbischen Alb besorgen.

Und während Weber die Stirn in überaus drollige Sorgenfalten legt und über erste Zipperlein klagt („Was ich früher saufen könnt’…“) muss er sich Gedan­ken machen, wie der Überalterung der Gesellschaft zu begegnen sei: „Es muss ein Bonus­system. geben. Wer mit 70 das Rauchern anfängt, bekommt die erste Stange von der AOK.“
Was der geborene Bayer und konvertierte Tübinger in der ARCHE mehr als zwei Stunden lang bot, war schlicht atemberaubend. Frische, freche und oft auch überraschende Pointen, niemals nachlassende Span­nung und endlich wieder neue Ideen, die ihn an die Grenzen zum Ein-Mann-Theater rühren. Und wo Vertreter seiner Generation in ungezählten TV-Shows dumpfsumpfiges Comedy-Geseier auf unter­irdi­schem Niveau verbrechen, hat Philipp Weber echten Witz, den er aus präzisen Beobachtungen und einem Gespür für die absurden Momente des Alltags ableitet: „Es ist pervers, wenn man bei einer Weißwurst das zermahlene Viech durch seinen eigenen Enddarm auszutzelt“. Dabei ist er im Vergleich zu kabarettistischen Altmeistern beinahe unpolitisch, dafür vielseitiger, und in einem orientierungslosen Informationszeitalter, das Menschen reihenweise „schief in? Leben“ schickt, liegt er damit goldrichtig – auch mit seiner Bemerkung: „Junge Leute können die Wirklichkeit gar nicht mehr aufnehmen, wenn sie nicht durch ein Farb-Display vermittelt wird.“
Erst nach drei Zugaben waren Künstler und Publikum gleichermaßen erschöpft. Kaum auszudenken, der Mann wäre Biolehrer geworden.