Das Leben, ein Zuckerschlecken


Bericht von Marita Kasischke, Heidenheimer Zeitung vom 24.10.2018 09:00 Uhr


Zahlen, Fakten und Gesänge: Chin Meyer machte sich in der „Arche“ in Dischingen unter anderem

Gedanken darüber, warum der kleine Mann immer zur Kasse gebeten wird.


Jongliert gern mit Zahlen und peilt dabei schon auch mal über den Daumen: der Kabarettist Chin Meyer.
Jongliert gern mit Zahlen und peilt dabei schon auch mal über den Daumen: der Kabarettist Chin Meyer.

Zahlen, Fakten und Gesänge: Chin Meyer machte sich in der „Arche“ in Dischingen unter anderem Gedanken darüber, warum der kleine Mann immer zur Kasse gebeten wird.

Warum wird der kleine Mann immer zur Kasse gebeten? Chin Meyer kennt die Antwort: Wenn die Wirtschaft ihre Schulden allein tilgt, dann geht das auf den Gewinn. So einfach ist das. Ein Lied darauf hat er auch noch: „Protect Profit“, im schönsten indischen Akzent gesungen.

Chin Meyer ist schon ein Allrounder, und der Finanzkabarettist, Autor, Musicaldarsteller und Liebhaber des Querdenkens begeisterte die rund 120 Zuschauer am Sonntagabend in der „Arche“ in Dischingen restlos.

Vielleicht nicht alle und durchweg – Peter, Hans-Jürgen, Herta, Eva, Heidi, Klaus und Lothar dürften sich zwischendrin schon mal gedacht haben, jetzt könnte er sie wieder in Ruhe lassen. Die Interaktion mit dem Publikum war ein bisschen viel, nicht nur für die Betroffenen, sondern auch den glücklichen Rest, den Meyer nicht am Wickel hatte.

Bankräuber willkommen

Ansonsten aber war sein Programm „Macht! Geld! Sexy?“ das pure Zuckerschlecken, wie ja – insofern irrt der Volksmund – überhaupt das Leben nur noch Zuckerschlecken ist, weil ja überall Zucker drinsteckt. Und weil Chin Meyer es mit Zahlen hat, rechnete er flugs aus, dass Zucker 200 Mal gefährlicher ist als Kokain, wenn man von der Todesrate ausgeht.

Steuermodelle à la Irisch mit holländischem Käse stellte er in beeindruckender Detailliertheit vor – schade, dass dies für den durchschnittlichen Otto Normallohnsteuerzahler so wenig Ansatzmöglichkeiten bietet. Aber was wollte man ohnehin mit den Steuerersparnissen anfangen? Auf der Bank muss man ja damit rechnen, künftig für Guthaben bezahlen zu müssen – was ja nur bedeuten kann, dass Bankräuber dort in nicht allzu ferner Zukunft freudig begrüßt werden.

Chin Meyer beherrscht die Jonglage mit Zahlen, Fakten, Statistiken, Philosophien und Informationen perfekt und versteht es obendrein, das wirkungsvoll unters Volk zu bringen. Dass das Programm nicht nur in der Interaktion mit dem Publikum manche Längen hatte und manche Pointe zu sehr herausgezögert wurde, das tat der Stimmung unterm Strich keinen Abbruch.

Köstlich waren Meyers Grundkurse über die Entstehungsgeschichte des Geldes und diejenige über seinen Anzug aus Dollarnoten, seine eigene Geschichte als Nachfahr von Ostpreußen, die wiederum Nachfahren von Hugenotten waren, über die besondere Slawen-Kelten-Germanenmischung, die wohl jeder sogenannte Deutsche in den Genen trägt, außer die Sachsen, die ursprünglich holländische Seeräuber waren und sich sprachlich nicht gerade verbessert haben. Und warum eigentlich digitale Intelligenz, wenn doch die natürliche noch immer in den Kinderschuhen steckt?

Und schließlich sang er ja auch noch: Die schönsten Brexit-Lieder gab es, das Lied für die Lobbyisten, und als Steuerfahnder Siegfried von Treiber die Ballade der vielen schönen deutschen Steuerarten, also alle, im beamtentypischen monotonen Sprechgesang, aber Treiber kann auch Cocker, wenn er seine bis aufs letzte Hemd geschröpften Kunden musikalisch tröstet „Du kannst den Hut behalten“. Das wirkt nicht ganz so sexy wie „You can leave your hat on“, dafür aber umso witziger.

Jeder Handel ein Lehrverkauf

Ob jemand sexy ist, das lässt sich – wie einfach alles in Meyers Welt – errechnen, er selbst hat die Formel dafür aufgestellt. Und was die anderen beiden Begriffe in seinem Programmtitel betrifft: Geld ist sowieso nur Schein und im Grunde jeder Handel nur ein Lehrverkauf. Und wer die Macht hat, ist ja ohnehin klar – das Smartphone.

Lachsalven und reichlich Applaus gab’s für den bunten Abend der anderen Art, und um Zugabe ließ sich Chin Meyer auch nicht lange bitten. Eine Zugabe, die insbesondere Hermann und Gabi gut in Erinnerung bleiben wird: Die beiden wurden lange und umständlich nach Details ihrer Beziehung befragt, und gerade als das anfing, nicht nur Gabi und Hermann auf den Keks zu gehen, entpuppte sich die Fragerei als Vorspiel zu einem eigens auf die beiden zugeschnittenen Lied, das in seiner unfassbaren Lustigkeit womöglich gar der Höhepunkt des Abends war. Hoffentlich bekommen Gabi und Hermann einen Mitschnitt.