Musik-Kabarettistin Birgit Süß pflegte hinreißend die eher kleinen Gesten in der ARCHE
<xml></xml>„Unter der Burka“: Birgit Süß singt direkt nach der Pause ein Loblied auf ein in unserem Kulturkreis gemeinhin mächtig verpöntes Bekleidungsstück. Was kann man nicht alles machen, unbeobachtet, unter diesem Körperzelt: einen Joint drehen, Reizwäsche anziehen, eine zweite Person verstecken…
Und Birgit Süß geht während des Lieds einmal in die Knie, und nach einem kurzen Gewackele fliegt ein BH ins Publikum der ausverkauften ARCHE.
Birgit Süß kann schon kess sein; sie kam, mit ihrem Pianisten „Herrn Goldbach“, zum zweiten Mal in die ARCHE, diesmal mit ihrem Programm „Schenk´ mir ein Lächeln“.
Süß ist ausgebildete Sängerin; ihr Auftritt deshalb durchsetzt mit vielen Liedern, in denen sie aufspießt, was der aufmerksamen Würzburgerin so alles auffällt in ihrer fränkischen Umgebung ebenso wie in der Republik allgemein. Das ist gesungenes Kabarett; und zwischen den mit großer stimmlicher Variabilität und erheblicher Bühnenroutine vorgetragenen Songs trägt sie Texte vor, die das Zeitgeschehen in geschliffener, wenngleich manchmal etwas starr vorgetragener Prosa aufgreifen. Das ist unterhaltsam, das ist zeitkritisch und auch politisch: Zwischenmenschliches kommt genauso zur Sprache wie eine herrlich persiflierte „Mahatma Merkel“, die dem Publikum eine „Yoga“-Übung als Einstimmung in die (auch soziale oder steuerpolitische) „Bedürfnislosigkeit“ gibt.
Süß ist eine sehr kontrollierte Actrice, oft scheinbar beiläufig in ihrer Gestik, die deshalb aber nicht effektlos bleibt. Ihr Auftreten wirkt gelegentlich ein wenig unfrei – aber dass sie auch sehr spontan sein kann, bewies sie dann nach Abschluss ihres Programms, als sie die Spende eines Dischinger „Bankers“ (der unbedingt einen ziemlich langen und nicht ganz unpeinlichen Witz auf der Bühne loswerden musste) um die Hälfte nach oben jazzte.
Süß, die in Würzburg als Radiomoderatorin arbeitet, pflegt in ihren elaborierten Texten einen kritischen, aber unabgehobenen Pragmatismus. Sie verlangt nichts Unmögliches von ihrer (augenzwinkernd beobachteten) Umgebung.
Von unterhaltsamer Reflektivität sind ihre Texte, die keinen Moment langweilen, obgleich sie auf detonierende Pointenkracher fast vollständig verzichten. Fließend wechselt die bayerische Schwäbin (gebürtig in Augsburg) ins Fränkische oder auch ins Dischinger Älblerische. Und dann begeistert sie, singend wie sprechend, mit ihrer ausgebildeten Stimme – was schon auch mal ins (köstlich) Absurde gehen kann etwa bei der Hitlerparodie „Eva, Du hast den Führer geküsst“. Oder ins kulinarisch Angewiderte bei ihrer Abscheu über den fanatischen „Bio-Günther“.
Ihr optisches Markenzeichen ist ihr dunkles Wallehaar, das ebenso elaboriert kontrolliert ist wie ihre Texte und ihr Auftreten. Zum schwarzen Kleid (vor der Pause) trägt sie eine rote, zum roten Kleid (danach) eine weiße Blüte in den Locken. Doch eitel ist sie nicht, wie das kleine Detail eines Pflasters am linken Daumen belegt.
Macht sie mal auf exaltiert, wirkt auch dies sehr kontrolliert. Obgleich ihre Sarkasmen und ihr schwarzer Humor doch trefflich zuspitzen, wenn es um blinde Disziplin geht.
Süß pflegt lieber die kleinen Spitzen als die großen Gesten. Obwohl optisch durchaus auch in Richtung Femme fatale aufgerüstet, geht ihr keine Minute die liebenswerte Bodenständigkeit ab, Sie singt vom „Diridari für den Ferrari“ eines fein beobachteten, aufgeblasenen Zeitgenossen – und war mit einem kleinen Peugeot aus Würzburg angereist; kein Künstler-Cadillac stand diesmal vor der ARCHE.
„Die Süß“, wie sie sich gelegentlich in ironischer Süßlichkeit nennt, ist eine Könnerin, die optisch einiges hermacht und doch lieber die kleine (sprachliche wie physische) Geste pflegt. „Ich bin komplett verblödet, man merkt´s nur nicht gleich“, ironisiert sie sich einmal selber, als es um TV-Gewohnheiten oder um eine bestsellersichere literarische Synthese von Rosamunde Pilcher und Charlotte Roche geht. Ihre brillanten „Feuchtgebiete“ kultiviert die angenehm feminine Feministin lieber in ihrer Stimme – und im Kopf. Das Dischinger Publikum schenkte ihr mehr als nur „ein Lächeln“.
Die ARCHE macht jetzt erst einmal kabarettistische Sommerpause – schade. Zumal nach einem so gepflegten Schlusspunkt.