„Schmach und Schande in Mergelstett´“


Bericht von Dr. Manfred Allenhöfer, Heidenheimer Zeitung vom 16.07.2011 08:00 Uhr


Naturtheater: Benefiznacht mit „Herrn Stumpfes Zieh & Zupf Kapelle“ und Kleinkunstpreisträger Christoph Sieber


Hans Weller (Lotto B-W), Inge Grein-Feil (FsF), Helga Banz (Naturtheater) und Oliver Conradi (Heidenheimer Volksbank) bei der Eröffnung des Abends.
Hans Weller (Lotto B-W), Inge Grein-Feil (FsF), Helga Banz (Naturtheater) und Oliver Conradi (Heidenheimer Volksbank) bei der Eröffnung des Abends.




„I ben manchmal wie besessa…“: Sehr gut besucht war das Benefizkonzert im Naturtheater, bei dem der Landeskleinkunstpreisträger Christoph Sieber und „Herrn Stumpfes Zieh & Zupf Kapelle“ auftraten. Die Stimmung des Publikums war bestens. Oben die „Stumpfes“ mit (von links) Michael Flechsler, Benny Jäger, Manfred Arold und Marcel Hafner au der großen Bühne vor der Bühne.

Draußen herrscht gerade mal ein knappes Dutzend Plusgrade; die Musiker im naheliegenden Rittersaal hätten längst ihre Instrumente beiseite gelegt, eine starke Stunde vor Mitternacht war es auch schon – da ging es im Naturtheater plötzlich herz-hitzewallend „afrikanisch“ zu. Die vier Musiker von „Herrn Stumpfes Zieh & Zupf Kapelle“ gaben eine weitere Zugabe und sangen ihr legendäres „Bemberle“ („mei Bemberle duat weh“). Afrikanische Klänge, vollbrustig a cappella erzeugt, hallten durchs Areal. Und das Publikum, aufgefordert, sang kräftig mit -„scheißegal was“, Hauptsache mit Nachdruck.

Die Begeisterung auf der fast vollbesetzten Tribüne war schier transäquatorial. Auch beim anderen Programmbestreiter Christoph Sieber, einem Kleinkünstler mit großem Potenzial.

Die dritte, von Lotto unterstützte Benefizgala im Naturtheater war, im musikalisch wie kabarettistisch Gebotenen wie bei der stimmungshaft und finanziell nachhaltigen Resonanz des Publikums, ein riesengroßer Erfolg. Der Erlös kommt, je hälftig, dem Gastgeber Naturtheater und der Aktion „Freunde schaffen Freude“ zu Gute. Und von diesem Abend dürfte einiges hängen bleiben.

Lotto-Bezirksgeschäftsführer Hans Weller hatte präludial seinen Auftritt: Er holte die Begünstigten Helga Banz (Naturtheater) und Inge Grein-Feil (FsF) sowie seinen Mitsponsor Oliver Conradi (Heidenheimer Volksbank)  auf  die  Bühne. „Bude voll“ war der trockene, hochzufriedene Kommentar des Letzteren beim Blick aufs bunte Auditorium.

Und dann begannen, eigentlich erstaunlicherweise, die Musici von „Stumpfes“ – wie soll, nach deren gewohnt wirkungsmächtigen Auftritt, ein solitärer Kleinkünstler überhaupt eine Chance haben, sich beim Publikum durchzusetzen? Na, mal abwarten.

Die „Stumpfes“ begannen mit dem titelgebenden ersten Song ihrer nagelneuen CD „Wohlwär“, mit einem hintersinnigen Liedlein also über die Vergangenheit („wie wenn gar nex gwesa wär“). Und, unverkennbar: Das Eis, sollte es denn um 20 Uhr bereits vorhanden gewesen sein (Benny Jäger hatte erst zwei Stunden später seine „schon eingefrorene“ Tuba moniert) – es war sofort gebrochen.

Die vorzüglichen Multiinstrumentalisten, die bei aller Routine die Freude am Musizieren und Singen (gerne auch a cappella) nicht verbergen und sich auch hählinges Grinsen nicht verkneifen wollten, sind ebenso cool wie bodenständig. Sie kommentieren sich und ihre Texte verbal ebenso treffend wie musikalisch – „nicht schlecht“, kommentierte nach ihrer Zugabe der andere Akteur Sieber, gleichfalls ein bekennender Schwabe. Mehr geht also fast nicht.

Zumal die Musiker ihr Heimspiel sinnig angepasst hatten, um dem örtlichen „Wer mit Wem und andere soziokulturelle Zusammenhänge“ treffsicher gerecht zu werden. Und so wandelte sich der Refrain eines der besten Lieder ihrer neuen CD, eine absurde schwäbische Sittenskizze, um in „Des hat grad no gfehlt – Schmach und Schande in Mergelstett“. das Publikum dankte mit heftigem Entzücken.

Der Abend bestand aus vier etwa halbstündigen Blöcken -und auf die das Publikum heftig begeisternden „Stumpfes“ folgte dann der noch eher unbekannte Kleinkünstler Christoph Sieber.

Der, Kleinkunstpreisträger des Landes 2010, musste es folglich schwer haben – befürchtete man. Doch der wort- und gestenstarke Älbler (vor 41 Jahren in Balingen geboren) ließ keinen Moment irgendeine stimmungshafte Lücke aufkommen. Er begann offensiv flott und durchaus pointenreich, thematisierte Cha­raktereigenschaften der Schwaben (etwa deren bereits schon lobhudelndes „nicht schlecht“ – ein Leitmotiv, das Sieber auch nach der „Stumpfes“-Zugabe treffsicher setzte) wie deutsche Politik und allgemein zeitgenössisch Menschliches. Er brachte Neues aus seinem aktuellen Programm „Alles ist nie genug“ ge­nauso, wie er auch zu improvisieren verstand. So lobte er, wie „dahinten im Naturtheater der Wald aufgebaut wurde“, und das Kulturangebot des hiesigen „schwäbischen Bayreuth“.

Vor gepflegten Plattitüden hat er keine Scheu (TV-Show:

„männliche Lieblingsbeschäftigung mit sechs Buchstaben“, fünfe sind vorgegeben: „icken“ -nach längerem verbalem Zappeln schlägt er ein „k“ vor, dann ein „m“). Und kommt er auf eine „Besenkammer“ zu sprechen, fällt ihm prompt, was nicht ganz neu und nicht oberoriginell ist, Boris Becker ein – dessen Wimbledontriumph der studierte Pantomime dann aber, in seinem zweiten Block, in einer furiosen, wortlos überhöhten Mehr-Minuten-Nummer hinreißend persifliert. Ansonsten brillierte er eher beiläufig mit kleinen pantomimischen und gestischen Meisterstückchen.

Sieber wird seinen Weg gehen; er ist ein großer Könner, der sich seinem Publikum freilich gelegentlich  anbiedert („mal ehrlich, oder?“). Sein Können darf er ja mittlerweile in der S3-Satiresendung „Spätschicht“ ein bisschen massenwirksam demonstrieren.

Und dann eben, nach Siebers Halbstundenblöcken vor und nach der Pause, noch einmal die „Stumpfes“: Es ist schon mitreißend, wie sie Titel der neuen CD und ältere Lieder, eigene Werke wie originell adaptierte „Covers“ präsentieren. Das Quartett ist ebenso anspielungsreich wie vielseitig und doch eigen und berückend multiinstrumentell.

Es hat sich mithin gelohnt, für einen Abend die überdachte Bühne vor der Vorbühne (auf der sich Sieber nach der Pause wirkungsvoll warmlief – „die breiteste Bühne, die ich je erlebt habe“) aufzubauen.

Mag die Tuba auch fast eingefroren sein – das Publikum war’s nicht. Die Älbler als begeisterungsfähige Feierabend-Afrikaner – wenn das künstlerische Angebot stimmt, funktioniert das auch unter 12 Grad.