Profilneurotiker und Schauknutscher


Bericht von Annette Grüninger, Heidenheimer Neue Presse vom 02.04.2006 15:33 Uhr


Der Münchner Kabarettist Michael Altinger ließ sein archetypisches „Strunzenöd“ in der Dischinger ARCHE lebendig werden



„band“ steht für Band, und die besteht aus dem schweigsamen, aber hochmusikalischen Martin Faber (li.). Im Vordergrund aber steht Michael Altinger, der Kabarettist aus München, der sein Kaff „Strunzenöd“ nach Dischingen verlegte, in die ARCHE




In der Dischinger ARCHE ist Michael Altinger, der am ersten April-Sonntag mit seinem neuen Kabarett-Programm (wieder) zu Gast war, kein Unbekannter mehr: Genauso wie Strunzenöd, jenes so liebenswerte wie imaginäre Nest, Bastion bayrischer Gemütlichkeit, weißblaue Heimat, Hochburg für Kesselfleischfeste – gleichzeitig Quell für schonungslose Satire und treffsichere Pointen.

„Ich kann’s mit allen aber ab und zu sag‘ ich meine Mei­nung und dann schauns“ heißt das neue Programm von Michael Altinger „und Band“. Und mit den Zu­schau­ern der gestopft vollen Dischinger ARCHE konnte es der Bayerische Kabarett-Preisträger wohl ganz besonders gut: „Ihr seid a ganz a tolles Publikum“, schmeichelte der gelernte Sozialpädagoge.
Doch kann man Aussagen eines Kabarettisten überhaupt ernst nehmen? Ist diesem unschuldigen Lausbubengesicht zu trauen? „Sobald ich von der Bühne runter bin, verwandle ich mich in eine menschliche Katastrophe“, gestand „Magic-Michael“. Tyrannische Übergriffe auf Ein-Mann-Band Martin Julius Faber hinter der Bühne, Autogrammkarten mit vorgedruckter persönlicher Widmung – „a richtige arrogante Sau“, halt.
Ja, auch vor sich selbst macht der Kabarettist bei seinem parodistischen Rundumschlag nicht halt. Daneben sind es „Oberprofilneurotiker“ und „Schauknutscher“, philosophische Fußball-Profis und „umgedrehte Machos“, die da ihr Fett abkriegen: lebende Klischees, denen Altinger gekonnt den Spiegel vorhält. Und der hängt natürlich in Strunzenöd, vielleicht auf dem Marktplatz dieses fiktiven Kaffs, das von allerhand schrägen Typen bevölkert wird.

Wie sie heißen? Unwichtig, schließlich verleiht der Kabarettist seinen Strunzenödern mit Vorliebe (und als Gedächtnisstütze) Promi-Namen. Da gibt es „den Beckenbauer“, der mit seinem widerlich-unmotivierten Lachen ganze Monologe bestreiten kann, oder Populist „Edmund“, der Gespräche mit einem affek­tierten „Ich habe ja neulich in meiner Süddeutschen gelesen“, einleitet: ein buntes Sammelsurium von ARCHEtypen; und in rasender Geschwindigkeit wechselt Altinger von der fleisch­gewordenen Männer-Phantasie „Sugar“ zum Strunzenöder Bauernfänger, fällt übergangslos vom ungeschlachten Bajuwa­risch ins gespreizte Schriftdeutsch oder archaische Blöken des durchschnittlichen Diashow-Publikums. Begleitet wird diese Verbalakrobatik von beeindruckenden Schnuten, die Altinger mit seinem Gummigesicht zu ziehen vermag und zuverlässig für Lacher sorgen.
Sehenswert auch die Zungenfertigkeit des demonstrativ-dauerverliebten Paares „Marianne und Michael“, die Kommunikation mit Knutschen ersetzen. Sofern es sich nicht um das Lieblingsthema „Zukunftsvisionen und Lebensziele“ handelt: „Erst mach i mein Bausparvertrag voll, dann bau i mein Speicher aus und dann kennt’s ihr mi alle“.

Der Speicherausbau als Lebensaufgabe – spätestens das dürfte uns Schwaben bekannt vorkommen. Denn Strunzenöd ist überall. Und hinter dem unschuldigen Klamauk lauert eine ganze Ladung ernsthafter Gesellschaftskritik: Themenlosigkeit als Thema. Denn die Strunzenöder bedürfen eines professionellen Themenfütterers wie Michi, um überhaupt Gespräche führen zu können. Zu dumm nur, dass Altingers Mini-Stasiakte, die „Akte Öd“, mit der SIM-Karte seines Handys verschwand. Was also, wenn sich bald auch „Notfall-Themen“ wie „die 80er-Jahre“ zu Ende neigen? „Wenn mir gar nix mehr einfällt, lauf i davon oder täusch a Ohnmacht vor“. In Dischingen war das allerdings nicht nötig. Gut zwei Stunden lang verstanden Altinger und sein schweigsamer, sehr musikalischer Gegenpart Martin Faber das ARCHE-Publikum aufs Prächtigste zu unterhalten: mit einem einfallsreichen Programm, gewürzt mit sinnlos-sinnreichen Liedern, die spielerisch von süßlichen Balladen in brachialen Hard Rock umschlagen. Ob das Münchner Duo bald wieder nach Dischingen kommt?