Trotz des EM-Spiels war das Naturtheater bestens besucht bei der Toto-Lotto-Kleinkunst-Benefizgala
Die Kultur muss nicht immer gegenüber dem Fußball zurückstehen: Die Kleinkunst-Benefizgala im Naturtheater trat am Donnerstagabend an gegen das Halbfinal-EM-Spiel der deutschen Mannschaft – der Termin war lange schon festgelegt. Und die Verantwortlichen versuchten auch gar nicht erst irgendwelche Rückpässe, um dem harten Entweder-Oder zu entkommen – etwa mittels einer Vorverlegung um zwei .Stunden.
Der Vorverkauf war gut gelaufen, das wusste man. Aber wie würde das Naturtheater besucht sein? Für die Veranstalter eine bange Frage. Für die Kleinkunstfreunde der Region aber offensichtlich nicht: Auf der Zuschauertribüne waren keine großen Lücken zu entdecken. Das war das 1:0 für die Kultur.
Die Toto-Lotto-Gesellschaft hatte den Benefizabend ermöglicht,, zum mittlerweile achten Mal. Und der neue Bezirksdirektor Frank Ackermann, zuständig für einen:
mittlerweile großen Raum weit über die Landkreisgrenzen hinaus, begrüßte die Zuschauer – mit einem Bekenntnis auch zur ausgesperrten Attraktion: „Ich als Fußballfan“, so seine Einleitung, „finde es toll, dass Sie so zahlreich-erschienen sind.“
Toto-Lotto fördere den jährlich ausgelobten Kleinkunstpreis Baden-Württemberg – und jeweils drei Preisträger werden verpflichtet für die Benefizgala im Naturtheater. Und Ackermann definierte dann auch, was Kleinkunst ist:
„Das ist große Kunst auf kleiner Bühne“. Man habe „drei Hochkaräter“ verpflichtet, die „das Beste aus ihren Programmen präsentieren“. Und, so viel kann vorausgeschrieben werden: Seine vollmundige Ankündigung erwies sich als berechtigt.
Brutto fast drei Stunden dauerte das Programm mit vielen Höhepunkten. Als die Zuschauer aus dem Naturtheater strömten, war klar: Sie hatten einen wunderbaren Abend gewonnen – und die Nationalmannschaft ein Spiel verloren. Also 2:0 für die Kultur.
Durch den Abend führte der große Tübinger Kleinkünstler Bernd Kohlhepp, dessen Alter Ego Hämmerle einige hinreißende Nummern bot, die bei aller schwäbischen Bodenständigkeit nicht überdeckten, dass da ein fulminanter, auch sehr kluger und menschlich zugewandter Komödiant am Werke war.
Kohlhepp meisterte die Doppelfunktion als Moderator und brillant geerdeter Kabarettist mit Bravour. Auch die Interview-Sequenz mit den Ermöglichern und Profiteuren des Abends geriet zum Glanzstück: Zu Beginn der zweiten Programmhälfte versuchte er, mit frech-heimeligen Fragen aus der Reserve zu locken.
Lotto-Ackermann, .und Oliver Conradi (dessen Frau Manuela mehrfach spontan zu Erwähnungsehren kam) von der Heidenheimer Volksbank ermöglichten, durch Übernahme der Künstlerhonorare, die Gala. Und Ingeborg Grein-Feil („Ich borg‘ längst nichts mehr, ich lass mir schenken“) und Norbert Pfisterer (ob’s, wenn der Verein so floriere, fragte Kohlhepp, „bald einen Ableger des Naturtheaters in Giengen und Aalen, gibt?“) legten klar, wofür die eingenommenen Mittel verwendet werden: für die inklusive Theatergruppe der Dischinger Aktion und für die anstehenden Baumaßnahmen des Heidenheimer Kulturvereins.
Schon die Gesprächsrunde geriet unter Kohlhepps Führung zur Kleinkunst. Und dabei wollte Grein-Feil das Mikro nimmer aus der Hand geben: „Es ist ganz ungewohnt, wenn Männer bestimmen wollen, wie lange ich reden darf.“ Dass da jemand sehr gerne im Vordergrund steht, wusste Kohlhepp mimisch und bühnenräumlich bestens zu kommentieren.
Das Programm: Kohlhepp, der auch schon mit hinreißenden Kabarettprogrammen über anspruchsvolle literarische Themen und auch über das humoristisch eigentlich unerhörte Thema „Demenz“ begeistert hat, verkaufte sich fast schon unter Wert als provinzschwäbischer Hämmerle, „König von Bempflingen“.
Aber seine Elvis-Nummern, etwa als bügelnder Rock’n’Roller („Glätten nicht nur mit maskulinem Innendruck“) oder auch seine späte Travestie-Einlage als „Frau Schwerdtfeger“ (mit traumhaftem, mittlerweile fast leber-wurstartigen „56erTräublesgsälz“) rissen das Publikum zu Begeisterungsstürmen hin.
Und dann war da die gebürtige Geislingerin Martina Brandl, mittlerweile (nicht erkennbare) 50 Jahre alt, die zwei Jahrzehnte in Berlin lebte und TV-Präsenz zeigte und seit acht Jahren wieder in Geislingen lebt, der, laut (zitiertem) Stadtlied „Perle im Bergeskranz“. Im Naturtheater trat sie das erste Mal auf- „eine Schande“. Sie bot ein freches, genau hinschauendes und Typen zitierendes, die Peinlichkeitsgrenzen mühelos dehnendes Programm, das über lange Fingernägel über den rasierten Schritt einer Frau bis hin zu Pressstrumpfhosen („man kann nicht mehr atmen“) immer wieder das Selbstverständnis von Frauen in unserer Gesellschaft thematisierte: „Wir sind wieder in den 50ern“. Sie kalauert und wortspielt gerne, zaubert mit feingesteuerter Mimik und filigranem Kieksen die unterschiedlichsten Typen auf die Bühne- und scheut auch die große Geste nicht, wenn sie als Evita Peron zur Melodie zu „Weine nicht, Argentina“ über Auberginen und Zucchini räsoniert.
Und dann war da noch der aus Schwäbisch Hall stammende Musikkabarettist Michael Krebs, der allerlei wohlfeile alltagsphilosophische Lieder vortrug, am Klavier virtuos untermalt. Und, nach der „ersten Halbzeit meines Lieds“, herrlich Jogi Löw persiflierte – hellseherisch schon fast in diesem Moment: „Wir sind ein bisschen aus dem Rhythmus gekommen“.
Als Zugabe traten die drei Künstler gemeinsam auf die kleine Galabühne im großen Areal am Salamanderbächle und präsentierten die eigens geschaffene Hymne für die Stadt ihres Auftritts: „Ich sag‘ Hei-, ich sag‘ Hei-, ich sag‘ Heidenheim“, sang Kohlhepp. Brandl und Krebs stimmten ein. Und das Publikum sowieso.