Der doppelte Reich-Ranicki


Bericht von Dr. Manfred Allenhöfer, Heidenheimer Neue Presse vom 19.10.2009 18:34 Uhr


Das „Erste Deutsche Zwangsensemble“ begeisterte mit seiner pfiffigen Vielfalt beim „Freunde“-Jubiläum in der Egauhalle


Türke will Neonazi werden - da kommt der NPD-Funktionär ganz schön ins Schwitzen: In der Dischinger Egauhalle begeisterte das „Erste Deutsche Zwangsensemble
Türke will Neonazi werden – da kommt der NPD-Funktionär ganz schön ins Schwitzen: In der Dischinger Egauhalle begeisterte das „Erste Deutsche Zwangsensemble“ mit den auch solistischen Könnern (v. li.) Philipp Weber, Claus von Wagner und Mathias Tretter


Neulich in der Dischinger Fußgängerzone: Das „Zwangsensemble“ hat auch die Panflöten-Combo aus Peru im Repertoire

Klasse Kabarett können sie machen, ausdrücklich „politisches“ gar. Sie können solo, im Dia- und Trialog. Sie können parodieren, haben auch Comedy drauf und Klamauk. Dabei sind sie ebenso pfiffig wie unterhaltsam – das Publikum reagiert mit der ganzen Bandbreite des Amüsements – vom Schmunzeln bis zum kollektiven Heftiglachen. In Dischingen war das „Erste Deutsche Zwangsensemble“ zu Gast. Und, da hat die Gelegenheitshumoristin Inge Grein-Feil ganz recht: „Das war ein fantastischer Auftakt“ – Freunde schaffen Freude feierten 25jähriges. Mit weit überregionaler Extraklasse.

Das ist kein blindes Pointen-Powerplay, was Mathias Tretter, Claus von Wagner und Philipp Weber da in der mit 250 Besuchern gut besetzten Egauhalle boten. Das Trio dosiert die Knaller gekonnt – da erwiesen sich die jungen Kabarettisten schon mal als veritable Routiniers. Sie nutzen ihre kabarettistischen Suaden als Gerüst ihres eigentlich gar nicht  atemlosen  Programms „Mach 3!“ – nein, zur dreifachen  Schallgeschwindigkeit beschleunigen sie eher selten. Sie können auch, im Doppelsinn, bedächtig; ja, sie können gar beredt schweigen.

Sie reden von Politikern, die sich selber parodieren. Oder sie nennen historische Größen wie Willi Brandt, die so große Fußtapfen hinterlassen haben, dass Westerwelle darin „einen dreiwöchigen Segeltörn“ unternehmen könnte. Oder fragen sich: Wenn Angela und Guido künftig ein arabisches Land besuchen – wer muss dann den Schleier tragen?

Sie knüpfen sich das TV-Prekariat vor, das ja auch wählen darf, und warnen: „Dischingen – nicht übermütig werden“. Das alles ist gut, teils sehr gut – im Trio wie solistisch, trotz gelegentlichen Recyclens ihrer Solo-Programme.

Aber so richtig kernig und unverwechselbar werden sie, wenn sie ihrem Affen Zucker geben und zu spielen beginnen: eine Senioren-WG, die ihre Ü80-Party plant. Ein deutscher und ein muslimischer S-Bahnfahrer. Oder ein „Parallelwelten“-Dialog im Vodafone-Shop. Richtig unter die Haut geht ihre  Neonazi-Nummer: Ein Türke will NPD-Mitglied werden. Oder eine braune Schwuchtel, die mit Couscous oder Fackelparade zum Christopher Day neuen Anhang werben will.

Und in ihrer Zugabe toppen sie sich noch, als da ein doppelter Reich-Ranicki auf der Bühne sitzt und einen absurden Doppelmonolog führt – eine parodistische Glanznummer, die einmalig sein dürfte.

Bei solchen Highlights läuft das „EDZ“ zu hinreißender Form auf. Man ahnt, warum das Trio gerade den „Lachmessepreis“ erhielt.

Mensch, was holt die Inge und ihr AK da für Glanzlichter aufs Härtsfeld, seit bald zehn Jahren schon. Auch das ist kaum zu toppen – zumal ja auch ein „Zwangsensemble“ absolut freiwillig in die (nicht nur) kabarettistische Provinz kommt. Eine Zusage, auch mit dem neuen Programm wieder nach Dischingen zu kommen, gab das Zwangsensemble noch auf der Bühne – auch das ganz freiwillig. Es muss auch ihm gefallen haben.