Jess Jochimsen in der ARCHE
Jede Wette, dass Jess Jochimsen seinen Auftritt in der ARCHE nicht vergessen wird: Er begann mit einem „Nein“ – und endete als Sternstunde des bittersüßen Humors.
„Könnt ihr mich alle sehen?“, fragte der Münchner Wahl-Freiburger, zu Beginn auf der niedrigen Bühne sitzend. Ein Fehler womöglich, denn in zustimmendes Brummen mischte sich ein „Nein“ von ganz hinten. Und als ein Großer in der ersten Reihe nicht mit der vermutlich Kleineren tauschen wollte, blitzte in Jochimsens Blick die Lust an der Spontaneität auf: Ein Barhocker und ein Bistrotisch wurden unter Getöse eilends organisiert und ersetzten Stuhl und Tischchen. Und als der Kabarettist dann noch versehentlich Wasser über seine Textblätter kippte, waren Künstler und Publikum längst nahe an der Schnappatmung.
„Das Programm hat eigentlich keine Struktur“, behauptete Jochimsen tiefstapelnd. Aber das stimmt nicht, denn „Durst ist schlimmer als Heimweh“ hat nicht weniger Struktur als ein Durchschnittsleben. Jochimsen ist dabei aber kein politischer Kabarettist, er verbeißt sich nicht in Kanzlerinnenwaden oder Außenministerreisegruppen, er beleuchtet häufig die Menschen am Rande wie den Trinker („der Bayer“) in seiner Stammkneipe, der stets vor Heimweh wimmere, bis der Wirt ihm Schnaps und Bier bringe. Oder den alten Mann am Leergutautomaten, der die „Casu-al-Wear-Männer“ beim samstäglichen Freigang zur Weißglut treibe.
Jochimsens Spott geht freilich nicht zu Lasten der Schwachen, und häufig steckt in den melancholischen Geschichten absurder Witz. Der studierte Philosoph scheint zwischen den Zeilen zu flehen: „Vergesst`s mir den Trinker an der Theke nicht!“ Schwermut schreibt nicht die schlechtesten Geschichten.
So fern von platter Unterhaltung ist Jochimsen auch, wenn er Dias zeigt. Genau: Dias, Schnappschüsse, Momentaufnahmen -Motive von überwältigender Tristesse und Einsamkeit, die zunächst komisch sind, aber lange nachwirken. Denn hinter den grauen, schmutzigen Fassaden leben Menschen, und diese Unbekannten und Unsichtbaren bleiben einem im Gedächtnis.
Weil Jess Jochimsen das Spiel mit den Stimmungslagen absolut meisterhaft versteht, stürzte er sein Publikum in der ausverkauften ARCHE am Sonntagabend natürlich nicht in Depression, sondern provozierte eher Freudentränen, wenn er ein Lied über dicke Kinder in die Gitarre hackte oder die Band „Silbermond“ schmähte, weil der nichts Besseres einfällt, als sich „ein kleines bisschen Sicherheit“ zu wünschen („Früher gab’s mal Rock’n’Roll!“). Und natürlich bekommt seine eigene Generation das Fett weg, wenn er vom fiktiven Paar Chloe und Fritz berichtet, das ihm an der Tür Filzpuschen anbietet („Das Laminat…„) und von der Edel-Abzugshaube schwärmt.
Was aber vor allem bleibt von diesem großartigen Kabarettabend, ist das Bild des einsamen Trinkers an der Theke – und die dank Jochimsen gewonnene Überzeugung, dass das unser Freund sein könnte.