Mathias Tretter kritisierte in seinem Programm „Pop“ in der Dischinger „Arche“ schonungslos ehrlich das Zeitalter der Amateure – und legte dabei wenig Wert auf politische Korrektheit.
Ein Mann mit Brille und knallrot geschminkten Lippen steht auf der Bühne. Es ist Mathias Tretter, und er macht Kabarett. So einfach ließe sich beschreiben, was die 130 Besucher der ausverkauften Vorstellung am Sonntagabend in der Dischinger „Arche“ erlebt haben; und doch wäre damit nichts gesagt.
Zumindest nicht darüber, welche Art von Kabarett Tretter da bot. Es war Kabarett, das kein Blatt vor den Mund nimmt; Kabarett, das alles darf: politisch inkorrekt sein, in einem Atemzug von Spießertum, Schwulen und Populisten sprechen und sogar eine eigene Partei, die „Partei ohne Partei“ oder kurz „Pop“, gründen.
Und das Publikum? Das war vom .ersten Moment an auf Treffers Seite. Auf der Seite eines Mannes, der das Basteln im Kindergarten verteufelt, für den im Zeitalter des Amateurs Donald Trump nur eine logische Schlussfolgerung ist und Helene Fischer ein trällernder Eintopf in Hotpants.
Wortgewandt und selbstironisch
Fast unmerklich und wahnsinnig eloquent, dabei immer darauf bedacht, durch seine „Ich-bin-nun-Mitte-Vierzig-Brille“ nicht wie ein Intellektueller auszusehen und dadurch allgemeinen Unmut auf sich zu ziehen, spinnt Tretter im imaginären Gespräch mit seinem Freund Ansgar die eigentlich nicht vorhandenen Fäden zwischen Politik und Popmusik, zwischen Atheismus und der Terror-Miliz IS, zwischen Fake News und dem Putschversuch am türkischen Staatspräsidenten Erdogan, der aber ja eigentlich auf den Roswell-Zwischenfall zurückzuführen sei – „und über Umwege auch mit Uwe Barschel und Lady
Di zu tun hatte“. Wie das? Nun ja. Wenn man den Populisten schon nicht mit Fakten kommen kann, dann widerlegt man sie eben. „Isso“, lautet das Zauberwort der modernen Internet-Hetze, die Tretter durchaus befürwortet – „wenigstens können die Populisten in der Zeit, in der sie vor ihrer Tastatur sitzen, keine Flüchtlingsheime anzünden – höchstens Anschläge auf die Rechtschreibung verüben“.
Zwei Stunden voller Selbstironie, zwei Stunden voll der klaren Worte – auch wenn ihm die Technik da ab und an einen Strich durch die Rechnung machte – und zwei Stunden, die vollgepackt waren mit schonungsloser Gesellschaftskritik angesichts der Tatsache, dass man heutzutage nicht seine Fehler, sondern lieber seine Fähigkeiten zu verstecken versuche.
Das „Windowing“, eine moderne Form des Aus-dem-Fenster-Guckens, war dabei Treffers Mittel der Wahl und wurde nur noch übertroffen von seinem Blick zurück aus einer unsterblichen Zukunft auf die Gegenwart: Angekommen
im Jahr 2120, beschrieb er sein eigenes Leben von dem Moment an, in dem er als Kind beim ihm so verhassten Basteln als „menschlicher 3-D-Drucker missbraucht“ wurde bis hin zu dem Tag, an dem seine ebenso verhasste Brille zum Ende seiner Ehe führen wird.
Den Blick unverwandt ins Publikum gerichtet, verblassen das Bühnenlicht und damit Treffers rot geschminkte Lippen. Dazu ertönt ein russisch-orthodoxer Choralgesang. Hallelujah. Ein Abgang, der jegliche Zugabe überflüssig macht.