Im Raumschiff am Rande des Härtsfelds


Bericht von Manfred F. Kubiak/Heidenheimer Zeitung 29.09.09 vom 29.09.2009 10:11 Uhr


Statt Hochrechnungen: „Zärtlichkeiten mit Freunden“ in der ARCHE


Ines sitzt links und Cordula hinterm Schlagzeug: „Zärtlichkeiten mit Freunden“ in der ARCHE
Ines sitzt links und Cordula hinterm Schlagzeug: „Zärtlichkeiten mit Freunden“ in der ARCHE

<xml></xml>Keine Prognose, kein Trend, keine Hochrechnung, keine Elefantenbeziehungsweise Elefantinnenrunde – völlig losgelöst. Wie in einer Art Raumschiff lebte es sich am Sonntagabend in der ARCHE in Dischingen. Denn just in dem Moment, als in der deutschen Ecke dieser Galaxie die Wahllokale schlossen, wurden an Bord des Kleinkunstkreuzers buchstäblich die Rollläden ‚runtergelassen und – begannen „Zärtlichkeiten mit Freunden“.

Was sich wie die Ausgeburt der Phantasie eines von Staatsräson unbeleckten Außerirdischen anhören mag, hat sich tatsächlich ereignet. Punkt sechs am Wahlabend, als die Welt draußen ums Licht und zum Beat des medialen Partyorchesters den Tanz der Prozente zu tanzen begann, wurden in der Parallelwelt der ARCHE tatsächlich sämtliche Verbindungen gekappt. Nichts drang mehr nach drinnen, wie gesagt: keine Prognose, kein Trend, keine Hochrechnung …

Und siehe da: Es überlebten nicht nur alle Mitreisenden dieses grandiose Abkapselungsmanöver, man amüsierte sich auch noch dabei. Der eine oder die andere womöglich weit besser und länger, als das auf der anderen Seite des Rollladens der Fall gewesen wäre. Und so konnte es passieren, dass drinnen tatsächlich niemand mitbekam, wie draußen Westerwelle schon das neue Amtslächeln für alles Auswärtige üben konnte.

Es wird einen ja begleiten in Zukunft. Und insofern muss sich in der Tat niemand geprellt fühlen, der es nicht von Anfang an sah, sondern, um doch noch zum Wesentlichen zu gelangen, stattdessen „Zärtlichkeiten mit Freunden“ beiwohnte.

Und was machten die beiden, die sich hochtrabend unter anderem eine bekannte Band nennen, mit all jenen, die ihre Gegenwart der bekannter Politikergesichter vorzogen? Nun, sie unterhielten sich und ihr Publikum tatsächlich mit Belanglosigkeiten. Dies aber auf hohem Niveau.

Die Programmlosigkeit, so könnte man es vorsichtig formulieren, ist das Programm von Christoph Walter und Stefan Schramm, zwei kaspernden Sachsen aus Riesa, die sich gerne auch als Ines Fleiwa und Cordula Zwischenfisch vorstellen und bei der Gelegenheit so tun, als wüssten sie nicht, ob sie Männchen oder Weibchen sind.

Kabarett machen sie keins. Weder im Sinne des von der Realität längst eingeholten und abgelösten politischen Kabaretts, noch im Sinne der stattdessen en vogue gewordenen sogenannten Comedy, bei der es, leicht vereinfacht betrachtet, letztendlich auch nur darauf ankommt, lauter zu schreien als alle anderen.

Nein, was dieses zunächst erstaunlich, mit zunehmender Dauer immer aufregender und aufregender erscheinende Duo serviert, ist echte Komik. Hochkomik sogar. Kaum hatte man gehofft zu wagen, dass es so etwas noch geben könnte.

Da sitzen diese beiden also unter ihren Perücken und schwadronieren, räsonieren, grimassieren, musizieren, pointieren, blödeln, kalauern, werden plötzlich geistreich, sodann gemein und doch wieder auch nicht, sind eigentlich den ganzen Abend in ihrer Art nicht zu fassen und deshalb immer für eine Überraschung gut. Und, man muss es erlebt haben: Auch wenn sie schweigen, sind sie komisch, denn selbst die Kunstpausen dieser liebevoll anarchischen, ja nur scheinbar in die Surrealität abdriftenden Show sind brillant integriert in diese vermeintliche Unordnung.

Völlig unaufgeregt vollzieht sich das Ganze – sieht man einmal davon ab, dass schon mal plötzlich Lenin verkehrt herum hinterm Schlagzeug von Cordula sitzt -, und völlig unaufgeregt gerät ein Publikum, das nicht einmal sagen könnte, weshalb, in den Bann von oft tatsächlich nur so ins Ungefähre plappernden Spaßmachern, die sich Witze leisten wie das Haus werde immer leerer und der Herr Kodes und der Herr Maphrodit seien auch schon ausgezogen.

Es wird nichts überhört – und es wird nicht nur über das Offensichtliche, es wird auch übers Subtile gelacht. Soweit bringen es die beiden „Zärtlichkeiten mit Freunden“. Und so kann es kommen, dass für alle, die am Sonntagabend auf der ARCHE gebucht hatten und nicht vor dem Glotzkasten, keineswegs die Wahl das Wunder war, sondern der erstaunliche Umstand, dass es tatsächlich nicht nur Komiker gibt, die einen mit was auch immer reflexartig zum Lachen, sondern mit beinahe nichts als Worten auch noch zum Zuhören bringen.