Unvermindert engagiert gegen die „Entklugung“: Dieter Hildebrandt ist 81 Jahre alt – und im Kopf so jung und gewitzt wie eh
81 Jahre ist der Mann jetzt alt; und dieses Alter (und seine Folgen) reflektiert er auch – auf seine ganz spezifische, erfrischend selbstironische Weise. Zum Beispiel in seinem Buch „Nie wieder 80“: Daraus trug Dieter Hildebrandt jetzt in der Dischinger ARCHE vor. Er tat dies erstaunlich vital und engagiert; man merkte ganz deutlich, dass es kein abzuhaltender Routine-Auftritt des (ja, so darf man ihn nennen:)
Alt-Kabarettisten war. Und überhaupt: Sein Witz (das ist doppeldeutig gemeint) ist so jung wie eh.
Das Publikum empfing ihn ob seines bereits vierten Dischinger Abstechers stehend mit Applaus (brav & gerne folgte es dem Vorschlag von Inge Grein-Feil). Zum 25. Geburtstag der Aktion »Freunde schaffen Freude« wolle er jetzt eigentlich einen „Kniefall“ machen auf der Bühne, meinte Hildebrandt. Allein, er komme hernach so schwer wieder hoch. Und so war man schon schön im Thema.
Gut: Es wäre ermüdend, zweieinhalb Stunden (das stand er scheinbar problemlos durch – ohne, bei 80+ darf man das feststellen: erkennbare Ermüdungserscheinungen) über Altwerden und -sein zu räsonieren. Hildebrandt weiß, wie er sein Publikum zu packen hat; und eitle Selbstbespiegelung oder auch nur ein wenig mehr als eine feinste Prise Selbstmitleid ist ihm fremd. Und überdies ist er viel zu klug (und zu lebendig), sich nun als „Uralt“-Meister des Kabarett zu präsentieren. Außerdem ist sein Begriff von „Kabarett“ auch viel zu politisch und gesellschaftskritisch, um das Drehen um die eigene Achse zum Programm zu machen.
Wach ist er, ungebrochen neugierig auf all das, was sich so gegenwärtig tut. Und da gibt es keine Alters-Abstinenz in Bezug auf das, was in Deutschland und der Welt geschieht: Da beschäftigt er sich mit der Bankenkrise ähnlich hintersinnig und wortspielerisch wie mit den „Krönungsfeierlichkeiten in Washington“. Die Linken freilich erwähnt er nur einmal; und das Wort „Hessen“ fällt überhaupt nicht.
Bitterböse kann er werden; schwarz gefärbt ist sein Humor durchaus. Wohlfeile Altersmilde eignet ihm nicht: „Ich werde jetzt immer renitenter“, sagt er lächelnd.
Die allgemeine „Verblödung“ ist ihm ein reizvoll zentrales Thema – oder, wie er zeitgeist-positiv vorschlägt: „die zunehmende Entklugung“.
Er geht da gerne auf die Medien ein, blickt tele(re)visionär auch mal kurz in den Dschungel. Oder er greift die Sportberichterstattung relativ umfassend auf (ein anwesender Kollege der Heidenheimer Redaktion, zuständig für diesen Bereich, wird’s heiter zur Kenntnis genommen haben). Und Hildebrandt hat’s mit neuzeitlichen Moden, etwa dem Walken.
Und dann muss man sich auf dem Trommelfell zergehen lassen, wie er, der 81 jährige, das Wort
„M-o-d-u-1“ ausspricht, wieviel heitere Befremdlichkeit dabei mitschwingt. Das ist, schlicht, ein großes und feines Vergnügen.
Ein großes Vergnügen ist der ganze Abend; und wer die vier bisherigen Auftritte Hildebrandts in Dischingen noch einigermaßen rekapitulieren kann (nicht jeder genießt ein Gedächtnis wie der Senior-Scherzer), seit 2003 alle zwei Jahre, der darf feststellen: Altersmüde ist der Mann kein bisschen.
„Man sollte mit dem Altern früh genug anfangen, damit man rechtzeitig seine Freude daran hat“, meint Hildebrandt selbstironisch. Warum solle er sich über 81 Jahre grämen? Das sei er schließlich nur ein Jahr lang – dann ist’s vorbei! Er ist freilich vorsichtig und selbstkritisch; er nimmt den Hinweis seiner Kinder (kabarettistisch) durchaus ernst, dass er in Gefahr sei. „eine Kalkspur hinter sich her“ zu ziehen.
Und er hat mannigfaltig erfahren, dass nicht nur Mann & Frau, sondern auch Alt & Jung womöglich nicht recht zueinander passen. Doch was tun? „Die Alten vermehren sich in aller Stille“. Und er hat die zwei Tage vorher bei der Heidenheimer IHK vorgestellte Prognose von Bundes-Bildungsministerin Annette Schavan noch gar nicht thematisiert, wonach im 21. Jahrhundert Geborenen eine Lebenserwartung bevorsteht von (durchschnittlich!) 104 bzw. 102 Jahren.
Dem jungen Alten Hildebrandt möchte man diese Lebensspanne gerne gönnen, der sich als Mitglied des Münchner „Pflegestammtisches“ ja auch ganz ernsthaft und unwitzelnd für solche Themen einsetzt.
Dem Ansinnen Inge Grein-Feils, er möge in zwei Jahren doch bitteschön ein fünftes Mal kommen, gab er nicht gleich nach. Wer weiß schon. Aber schöne Skepsis ist ja ein prägnantes Spezifikum des tiefen Hildebrandt’schen Humors.