Der Mensch als Depp


Bericht von Marita Kasischke, Heidenheimer Zeitung vom 24.09.2013 20:27 Uhr


Martina Schwarzmanns Vorpremiere in Dischingen


Testete die Wirkung ihres neuen Programms in der ARCHE: Martina Schwarzmann
Testete die Wirkung ihres neuen Programms in der ARCHE: Martina Schwarzmann

Mit einer selbstgestrickten Kutte auf dem Mofa zu den Hells Angels fahren oder wie die Zeugen Jehovas von Tür zu Tür gehen, einen „Playboy“ in der Hand und die Frage auf den Lippen „Möchten Sie mit mir über Sex reden?“ – wer hätte gedacht, dass junge Mütter aus Fürstenfeldbruck mit landwirtschaftlichem Nebenerwerb solcherlei Wunschträume haben! Martina Schwarzmann jedenfalls hat sie, und glücklicherweise träumt sie nicht im Verborgenen, sondern packt diese Träume und viele andere Gedanken in zartdeftige Mundartreime und kleine feine Melodien, um die Öffentlichkeit daran teilhaben zu lassen.

So geschehen am Freitagabend in der „Arche“ in Dischingen, wo das keinen einzigen Platz frei lassende Publikum in den Genuss kam, die Vorpremiere ihres Programms „G‘scheit g‘freit“ zu erleben.

Und da sitzt sie, die gute Frau Schwarzmann, ganz und gar unprätentiös, in ihrer Second-Hand-Bluse, mit Zopffrisur und Brille, Gitarre in der Hand, und tut so, als ob sie gär nichts Besonderes wäre. Aber das ist sie eben doch: Von Promi-Partys, die doch scheinbar so schillernd schön be­gehrenswert sind, verabschiedet sie sich vorzeitig, und auf den Vorhalt „Aber es gibt doch gleich Schnittchen“ sagt sie, sie könne sich zu Hause die Reste vom Mittag aufwärmen.

Wenn sie Abwechslung braucht, geht sie in ihren Hühnergarten und schaut vorzugsweise ihrem

„Bigauderer“ – Truthahn auf Bayrisch – zu, weil der sich so herrlich aufplustern kann, und stellt sich schon einmal so Fragen wie, ob Füchse heutzutage Burnout kriegen angesichts der Massenhühnerhaltung. Und sie sorgt sich um die zukünftige Ernährung, wenn die ganze gute Wurst auf Gut Aiderbichl im Tierparadies herumspaziert. Und sie sorgt sich um die Menschheit, wenn Leute mit .einer Wohnung im siebten Stock eine Gartenzeitung abonnieren und immer auf der Suche sind nach sich selbst, ohne bei sich selbst zu suchen. Und kommt zu einem überraschend simplen Ergebnis: „Der Mensch an sich ist leider oft ein Depp“.

Und deshalb erklingt auch gleich mal rein vorsorglich eine Hymne auf einen Tag, der dringend notwendig ist, aber merkwürdigerweise noch von keinem ins Leben gerufen wurde: „Weltdeppentag“. Und den würde sie dann nützen, um an Schneckenhäuser Dixi-Klos zu bauen mit dem Hinweis, das sei jetzt Vorschrift von der EU. Ja, das würde Martina Schwarzmann tun. Wenn‘s ihr mal fad wäre.

Aber das ist ihr ja nie: Sie muss Weberknechte über Lottoscheine laufen lassen, um die richtigen Zahlen orakelt zu erhalten, sie muss ihren Job als Mutter ausüben, der hauptsächlich darin besteht, von acht Uhr bis acht Uhr aufzupassen, dass sich keiner wehtut. Danach der Hausfrauenjob, „und der ist ja wirklich das Letzte“, und sie fragt sich beim Spülmaschine aus- und wieder einräumen, warum die Menschheit davon abgekommen sei, vom Fußboden zu essen. Vermutlich, weil da so viel rumliegt, dass selbst Einbrecher wieder kehrtmachen in der Annahme, da sei ein Kollege zuvorgekommen.

Sie muss beim Bulldogfahren Acht geben, dass sie dessen Einzelteile nicht in den Tod treibt. Und sie muss schauen: nach dem Weltfrieden, der einfach nur eine „Timing-Sach‘“ ist, nach der Milch auf dem Herd, die mal wieder anbrennt ,weil sie die Kochzeit nutzen wollte – „Multitasking ist einfach ein Riesenscheißdreck“. Sie muss nach ihren Second-Hand-Klamotten schauen und wünschte sich, in Todesanzeigen würden Kleidergrößen angegeben – das könnte eine Menge Lauferei ersparen. Sie muss ihr Kilo Möbelprospekte in der Zeitung durchschauen und überlegen, wohin sie zuerst ginge, wenn sie mit Sprengstoff umgehen könnte.

„Ja“, sagt sie, „solche Gedanken kommen, wenn man einfach mal schaut“. Und sie wundert sich, dass alle Leute um sie herum nicht einfach mal schauen. Ihr Dischinger Publikum kann sie damit jedenfalls nicht meinen: Die haben g‘schaut, bei diesem so scheinbar schlichten oder doch vor Wort-, Lied- und Gedankengewaltigkeit so wuchtigen Programm. Und gelacht. Und ge­klatscht. Die haben sich gescheit gefreut. In des Wortes doppelter Bedeutung.