Michael Ehnert war mit seinem sehr elaborierten „Das Tier in mir“ in der ARCHE
Eines kann man Inge Grein-Feil und den verantwortlichen Programmmachern der ARCHE nun wirklich nicht vorwerfen: Dass sie für ein stromlinienförmiges, monotones Unterhaltungsangebot sorgen.
Mit Michael Ehnert war jetzt ein Kabarettist eingeladen, dem freie Lockerheit und erst gar das Improvisatorische völlig abgehen. Er kam mit einem sehr ausgefeilten, kompakten Programm, das er selber einmal „ein Stück“ nannte und das auch stark philosophisch und nicht zuletzt pädagogisch unterfüttert war.
Ehnert erlaubt sich den sein Publikum deutlich fordernden Anachronismus, noch an eine Wandelbarkeit der Welt durch Bühneneinsatz zu glauben: „Es gibt Missstände in dieser Welt, die mich hinaustreiben“ – auf die Bühne wie auch aus der eigenen Haut. Mit weit ausgefahrenem Zeigefinger kommt sein Schlusssatz daher: „Was würden Sie tun, wenn Sie wissen, dass Sie frei sind? Machen Sie was – jetzt!“
Er bemüht für sein Credo Immanuel Kant ebenso wie Mario Barth; und so wandelbar wie sein oft grenzwertiges Panoptikum an Personal ist auch seine Art der Bühnenpräsenz: Er kann sehr gedrechselt und gedankentief sein (da wird schon mal „das Ende der Zeit“ reflektiert), aber er bringt auch schnelle Abfolgen von typen- und prominentencharakterisierenden Beiträgen, die, bei aller Absurdität der kontraststarken Zusammenstellung, auch unmittelbar unterhaltsam wirken. Und:
Gar nicht selten, das darf man bei seiner bekennenden Art durchaus mutig nennen, ist er selbstreferentiell.
Als „Schauspiel-Schamane“ und „Bühnenmönch“ bezeichnet sich der 45j ährige Hamburger: Er hat einen fein ausgearbeiteten, mehrperspektivischen Text, den er, ohne irgendeine Requisite und mit nur wenigen akustischen Einspielungen, zwei Stunden lang vorträgt – ohne Durchhänger.
Aber man darf sich das keinesfalls als ein Rezitieren von der Rampe weg vorstellen: Er behauptet ja, ein Schauspieler zu sein (und baut ja auch eine ganze Anzahl von schräg verfremdeten Szenen seiner Ausbildung ein, bis hin zum glöckchenbegleiteten Dialog mit seinem „Meister“) -und entsprechend variabel und durchaus mitreißend ist sein Agieren auf der kleinen Dischinger Bühne.
Er imitiert, parodiert oder überzeichnet die unterschiedlichsten Typen – vom Papst bis zum AI-Qaida-Führer, vom Deutschen-Bank-Chef über die Landwirtschaftsministerin bis zur Stewardess.
Dabei kann er, ganz unangeberisch, überzeugen mit einem Ausdrucksvermögen, das Zungenschläge wie Laute beliebig aufgreifen und zuspitzen kann.
Und so verlebendigt er die allerunterschiedlichsten Wesen – aufklärend, anklagend, belustigend. Und er präsentiert dieses Personal nicht nur, er bekennt auch immer wieder, das ist die durchaus reizvolle Doppelbödigkeit des Abends, ein „Besessener“ zu sein: „Ich habe diesen Job, ich muss einfach spielen“.
Und erklärt leitmotivisch, dass ihm, bei seiner schauspielerischen Ausbildung, „mein Meister aufgetragen hat, mein kleines Feld zu bestellen“: Von einem „weiten Feld“ hat ja der alte Briest in Fontanes Roman gesprochen, wenn er die Kompliziertheit der Wirklichkeit verdeutlichen wollte – die Ehnert in seiner bühnenwirksamen Weise zusammenpuzzelt, zu einem ebenso unterhaltsamen wie fordernden Abend.
Der spielt auf Kleinstbühnen deutscher Provinz („Ich mag nicht mehr“) ebenso wie im Passagierraum eines Großjets mit hochillustrem Personal beim Erstflug – mit abschließendem Absturz.
Häufig aktiviert Ehnert, das ist ja auch der Titel seines Programms, „Das Tier in mir“. Und das vermag er, gestisch wie stimmlich, sehr prägnant zu präsentieren; Da wird er zum Wolf (jaja, der Mensch ist dem Menschen ja schließlich ein solcher) oder gelegentlich fast zum Werwolf. Er knurrt, stellt die Ohren auf, wird laut und aggressiv – und beißt (rhetorisch) immer wieder kräftig zu. Das ist, auf eine sehr reflektierte und geisthaltige Art, oft durchaus grenzwertig. Das ist eine gehörige Stärke von Ehnert, der, wie er einmal bekannte, „seit 22 Jahren im Geschäft“ ist und dennoch, wie auf seine Nachfrage im (eigentlich zugabeunfähigen, da strikt durchkonzipierten Programm) Nachspann bekannt wurde, bislang gerade mal von drei ARCHE-Besuchern schon einmal zur Kenntnis genommen worden.
Er ist, wohl nicht zuletzt aufgrund einer gewissen intellektuellen Sperrigkeit, keine geläufige Größe der deutschen Kleinkunstszene – schön, dass die ARCHE-Verantwortlichen diese besondere Spielart des deutschen zeitgenössischen Kabaretts entdeckt und verpflichtet haben.