Deutschland wählte Mutti


Bericht von Manfred F. Kubiak, Heidenheimer Zeitung vom 24.09.2013 20:31 Uhr


Der Österreicher Severin Groebner versüßte in Dischingen die Zeit der Stimmenauszählung


Pendelte in der ARCHE zwischen den Polen der deutschsprachigen Welt: Severin Groebner.
Pendelte in der ARCHE zwischen den Polen der deutschsprachigen Welt: Severin Groebner.


Am Ende wünscht er noch vier schöne Jahre mit Mutti – und verabschiedet sich. Wohin? Entweder Wien oder Frankfurt, würde man jetzt mal schätzen. Also Österreich oder Deutschland. Was anderes dürfte kaum in Frage kommen, denn der gute Mann hat zuvor über zwei Stunden lang von nichts anderem geredet. Österreich und Deutschland, Deutschland und Österreich.

Um das in seiner ganzen Komplexität verstehen zu können, muss man die Hintergründe dieses Mannes kennen, dessen Hintergründigkeit im Übrigen auch nicht zu verachten ist. Severin Groebner heißt er und kommt aus Wien. Leben aber tut er in Frankfurt, wo er seit einem Jahrzehnt an einem Integrationsselbstversuch teilnimmt. Als einziger Proband. Kein Wunder, dass der Mann ohne Punkt und Komma redet, sobald ihm mal jemand zuhört. Zum Beispiel in der zum zweiten Mal an ein und demselben Wochenende ausverkauften „Arche“ in Dischingen (siehe auch den Bericht über das Gastspiel von Martina Schwarzmann vom 20.9.13), wo sich, dies schon mal vorweg, der Österreicher am Sonntagabend viele neue deutsche Freunde gemacht hat.

Warum ein Österreicher überhaupt auf die Idee kommt, nach Deutschland umzusiedeln, ließ sich am Sonntag lustiger weise gewissermaßen live nachvollziehen. Eines Tages jedenfalls war es Severin Groebner leid, dauernd vor Ort, im Heimatland miterleben zu müssen, wie die Österreicher wählen. Nicht nach seinem Geschmack jedenfalls. Hier in Deutschland jedoch kann er sich
als Unbeteiligter über das Wahlverhalten anderer lustig machen.

Das ist, was die psychische Hygiene anbelangt, zugegeben ein nicht zu unterschätzender Vorteil. Und ärgert, bei eigener Erheiterung, womöglich gleichzeitig andere. Denn wer sagt denn, dass alle im Publikum die diebische Freude Groebners teilten, als der sich aus der Pause des zeitgleich zum großen Auszählen über die „Arche-Bühne“ tobenden Kabarettabends mit neuen Hochrechnungen zur Lage der FDP zurück­meldete. Und immerhin noch immer weit über die Hälfte der Deutschen mögen Frau Merkel nicht als Mutti, wie er die Kanzlerin nennt, deren Wahlsieg Groebner vor der letzten Zugabe quasi mit aus der Umkleidekabine zurück in den Saal brachte.

So wusste das Publikum also -von einem Österreicher -, wie‘s aussieht in Deutschland. Nicht schlecht. Und ein adäquater Ersatz dafür, dass selbst ein Mann wie Severin Groebner selbstverständlich auch wortreich nicht schlussendlich klären konnte, ob nun die Österreicher, wie oft be­hauptet wird, tatsächlich die besseren Deutschen sind oder warum die Deutschen zu Zwecken des Urlaubs lieber nach Österreich oder wenigstens durch Österreich fahren, als zu Hause zu bleiben.
Weiß man‘s? Eben. Wo die Deutschen doch nicht einmal wissen, was so deutsch an ihnen ist, wohingegen der Wiener – die andere Form eines Österreichers gibt`s wohl auch, spielte den ganzen Abend über aber keine Rolle -, immerhin weiß, dass er nirgendwo auf der Welt besser und schöner unzufrieden sein kann als in Wien.

Deutsche sind laut, in Österreich hingegen sind sogar die Türken leiser als in Deutschland, der Österreicher ist Gemütsmensch, der Deutsche hingegen vom Fleiß besessen, für den auch die Vergangenheitsbewältigung schwere Arbeit darstellt, während der Österreicher so etwas erst gar nicht versucht – es sei denn es ist mit charmanten Erinnerungen damit verbunden, als Ungarn noch bei Österreich war. Und während der Deutsche wenigstens auf Knopfdruck und in exakt vorgegebenem zeitlichen Rahmen in Ekstase geraten kann (Karneval, Oktoberfest), merkt man in Österreich erst am Faschingsdienstag daran, dass Fasching ist, wenn die Dame am Bankschalter auf ihr notorisch grantiges Gesicht eine Micky-Maus-Maske gestülpt hat. Wobei solches dann fast auch schon wieder nach Landkreis Heidenheim klingt. Dischingen selbstverständlich ausgenommen.

So pendelt Severin Groebner unverdrossen zwischen den Polen der deutschsprachigen Welt. Er schwadroniert, singt, grimassiert, führt ganze Diskussionsrunden allein und wird dabei, ohne deshalb automatisch ins Philosophieren zu kommen, herrlich philosophisch. Denn ganz besonders beeindruckend an diesem gescheiten Kabarettisten ist dessen Fähigkeit, in fein austarierten Abschweifungen zwar unentwegt auf ein Ziel zuzusteuern, dabei aber dennoch immer auch noch um die Ecke zu denken. Das ist, am Ende jedes Mal mindestens genauso überraschend wie witzig und lädt unaufgefordert durchaus auch zum Weiterspinnen so mancher filigraner Gedanken ein, die Severin Groebner mitunter ganz elegant und en passent für sich allein im Raume stehen lässt.

„Servus, Piefke“ nennt Severin Groebner zur Begrüßung und zum Abschied sein brillantes Programm beim Namen. Was soll man dazu sagen? Auf Wiedersehen, immer wieder gerne.