Sensationell: Kabarettist Stefan Waghubinger denkt in der ARCHE in großen Zusammenhängen
Schon das Vorprogramm während der Anfahrt nach Dischingen hatte am Sonntagabend hohes Niveau. Da fragte im Autoradio ein aufgekratzter Griechenlandreporter den Griechen von der Straße, was der sich denn von den Wahlen an diesem Tag erwarte. Und dessen Antwort lautete: Dass der am wenigsten nutzlose Politiker gewinnen möge. Nutzlose Politiker, du meine Güte! Ob es so etwas auch bei uns gibt? In Deutschland? Nutzlose Politiker?
Keine Antwort auf diese Frage gab anschließend Stefan Waghubinger, der in der „Arche“ das Hauptprogramm bestritt. Denn Waghubinger und Waghubingers Kabarett nähren sich nicht von den sogenannten Tagesaktualität, also von dem, was Politiker so sagen und neuerdings noch lieber twittern, weil man das sogar ungefragt tun kann.
Waghubinger denkt in größeren Zusammenhängen. Wer bin ich? Woher komme ich? Was tue ich? Was tut es mit mir? Was wollen andere, dass ich denke, sage, tue. Lohnt sich Moral, wenn die sowieso niemand sieht? Solche Sachen und noch viel mehr davon. Waghubinger, der ja eigentlich nur nach Dischingen gekommen ist, um mal ungestört und in aller Ruhe seine Steuererklärung auszufüllen, denkt so komplex, dass am Ende sogar Gott, der ihn kurz am Handy erwischt, auflegt, ehe wir erfahren, auf welchen Kompromiss sich die beiden wohl einigen könnten.
Aber Waghubinger denkt unter der grandios zur Schau getragenen Maske des scheinbar naiv und bloß beiläufig Unausgegorenes daher erzählenden Biedermannes nicht nur in großen Zusammenhängen, er bringt es auch fertig, Zusammenhänge aufzuzeigen. Und das geht weit über den Massentierhalter Mensch und die Massentierhalterin Ameise hinaus, die sich in ihren tageslichtlosen Bauten, deren über die Grasnarbe ragenden Kuppeldächer Waghubinger so gern mit dem Rasenmäher überfährt, Läuse als Milchvieh hält.
Und am Ende eines jeden Zusammenhangs, den Waghubinger in sprachlich brillant formulierten Abschweifungen und um hundert Ecken und über ebenso viele Kreuzungen denkt, steht dann nicht nur immer eine phantastische Pointe, die die oft bitteren Wahrheiten süßer schmecken lässt, sondern auch die Erkenntnis, dass alle Zusammenhänge tatsächlich miteinander und ineinander zusammenhängen. Darüber sollte man in der Tat ab und zu mal nachdenken.
Damit dies erst gar nicht geschieht, wenigstens nicht in die falsche Richtung, gibt’s Erfindungen wie das Oxymoron political correctness, zwei Begriffe, die lustiger weise ständig in einem Atemzug genannt werden, obwohl sie sich gegenseitig ausschließen. Stefan Waghubinger, der aus einer Zeit kommt, in der man die Zukunft noch schwarz-weiß entwarf und in der, wer baden wollte, erst noch mit Holz und Zeitungspapier einen Kessel heizen musste, während im Zimmer und im Fernsehgerät nebenan sich im Raumschiff Enterprise die Türen schon ganz von alleine öffneten, weiß selbstverständlich aber auch, wofür man political correctness braucht: „Damit man, seine Meinung nicht falsch ausspricht.“
Und dann liefert Waghubinger ein Beispiel für gehorsamst verinnerlichte political correctness, das es lohnt, hier, wenn auch nur sinngemäß, etwas ausführlicher wiedergegeben zu werden. Es handelt von Waghubinger und Waghubingers Tochter, die nicht nur mit einer blonde Barbie, sondern auch mit dem dazugehörenden Barbie-mann, also einem Ken, und jeder Menge Barbiezubehör zu spielen pflegt. Eines Tages nun beobachtet Waghubinger, wie Barbie und Ken zum Surfen verreisen und Barbie sich, einen Koffer in jeder Hand, zwei Schritte hinter dem unbepackten Ken herschleppt. Darauf Waghubinger in belehrendem Ton zur Tochter: Wir leben hier nicht in irgendeinem arabischen Land, wo die Frau nichts wert ist. Bei uns ist der Mann Kavalier. Die Koffer trägt der Ken.
So weit, so gut. Bis eines Tages Ken dem heimwerkelnden Waghubinger zu nahe kommt und in einen Eimer mit palisanderbrauner Holzschutzfarbe fällt. Die Tochter weint, der Vater versichert, der Ken sei nicht kaputt, man könne mit ihm weiterspielen, sobald die Farbe getrocknet sei. Tja, bis zum nächsten Barbieurlaub, als Waghubinger zu seinem nicht gelinden Entsetzen plötzlich einen schwarzen Mann, in jeder Hand einen Koffer, sich zwei Schritte hinter einer Blondine herschleppen sieht. Weihnachten gibt’s einen neuen Ken, hat Waghubinger seiner Tochter versprochen, als er ihr den unglücklich gefärbten weggenommen hat, ehe der in seinem Hause noch länger hätte diskriminiert werden können.
Tja, bisweilen kann, wer sich daran gewöhnt hat, sich sagen zu lassen, wie und was er zu denken hat, auf einmal einen Kavalier für einen Kofferträger halten. Wäre man von selber vielleicht nie drauf gekommen.
Über zwei Stunden lang hängt das Publikum in der ausverkauften „Arche“ Stefan Waghubinger förmlich an den Lippen. Und das, obwohl er es einem nicht leicht macht in seinem philosophischen Seminar. Denken strengt an. Bedenkt man es aber recht, so liegt, selbst wenn man nicht jeden kennen kann, der hierzulande in Kabarett macht, die Vermutung nahe, dass es derzeit wohl keinen gibt, der das besser macht als Stefan Waghubinger. Sensationell.