Anarchie aus dem Posesiealbum


Bericht von Marita Kasischke, Heidenheimer Zeitung vom 30.01.2007 15:12 Uhr


Der Kabarettist Jess Jochimsen zu Gast in der ARCHE







 

Wie beginnt ein Dia-Abend mit lustigen Musikanten? Jedenfalls nicht mit einem „Hallo“, das wäre doch ziemlich langweilig, findet Jess Jochimsen, Autor, Kolumnist, Kabarettist und einer der beiden lustigen Musikanten, die Dias und mehr nach dem Motto „Das kann jetzt ein bisschen weh tun“ am Sonntag in der Arche Dischingen präsentierten.
Jochimsen wählt als launigen Einstieg einen flotten Spruch aus Rilkes Mutmach-Poesie, der da lautet: „Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr“. Ja, einfach mal was anderes machen, das rät Jochim­sen auch seinen zahlreichen Zuhörern: Statt mit „Guten Morgen“ könne ein Tag im Büro durchaus auch mit der Frage „War die Spurensicherung schon da?“ beginnen. Ein wenig Anarchie könne schließlich nicht schaden in diesen Tagen der Yuppie-Rückkehr, in denen bereits Rauchen als revolutionär gelte, nachdem Saufen und Trampen als Ausweg aus dem Teufelskreis zwischen Schmerz und falschem Trost aus der Mode gekommen sei.

Zusammen mit seinem weiteren lustigen Musikan­ten an Piano, Steelguitar und Mikro, Sascha Bendiks, rechnet er ab mit Ciabatta-Fressern und Latte-to-go-Bestellern, die zur Einweihung von Wohnungen laden, in denen Rauch- und Schuh­verbot herrscht und die Frage „Ach, und das ist jetzt Laminat, ja?“ mindestens von jedem Fest­teil­nehmer einmal kommen muss. Sie rechnen ab mit Ärztinnen bei der Bundeswehrtauglichkeitsunter­su­chung, die vor allem lustvoll Körperteile untersuchen, die im Ernstfall eine so große Rolle gar nicht spielen dürften, mit der harmlosen Frage „Wissen Ihre Nachbarn, was Sie tagsüber tun?“.
Sie huldigen Tina, der Tanzstundenrevoluzzerin, die es am Abschlussball allen gezeigt hat, indem sie einfach nicht hinging, mittlerweile aber mit einem Banker so abgestumpft verheiratet ist, dass sie Fragen nach ihrem Wohlergehen nur mit einem resignierten „doch, doch“ beantwortet. Allen „Früher-war-nicht-alles-schlecht-Autobahnbefürwortern“ gilt der Vorwurf, sie können niemals auf der A8 gefahren sein, bei der Hitler den Pannenstreifen glatt vergessen habe, und die Frage, „Haben Sie gewählt? Sind Sie schuld?“ stellt Jochimsen in großer Naivität, ist er doch als Bayer nicht vertraut mit demokratischen Bräuchen.

Jochimsen und Bendiks reden, poetisieren, pointieren und singen in einer solchen Geschwindigkeit, dass es im Publikum mucksmäuschenstill ist – vor lauter Angst, man könne irgendetwas verpassen in dieser Dia-Show mit Texten aus dem Poesiealbum, Liedern wie der kuschelrockfähigen Version von „Highway to hell“ von AC/DC und dem „g’scheit traurigen“ Country-Song über das Sterben in der Familie, dem Liebeslied aus der Spätphase Barbaras mit dem Titel „Betty“ und Sätzen aus der Jochimsen-Sätzesammlung, die eingeteilt ist in Sätze, die niemals funktionieren – „Ich übernachte bei einem Kumpel“, Sätze, die in jedem Meeting fallen – „Im Landesinneren ist Mallorca ja zauberhart“ – und Sätze, die man im Laufe seines Lebens einmal gesagt haben sollte – „Pack Deine Sachen und geh“.

 

Letzteren hätte das Publikum auf Jess Jochimsen und Sascha Bendiks niemals angewandt, zu sehr hat sich der Titel des Programms bewahrheitet: Das konnte tatsächlich weh tun, am Zwerchfell nämlich. Und deshalb gilt für die beiden der Satz „Kommt wieder“ – zumal sie jetzt ja wissen, dass Dischingen beileibe nicht am Arsch der Welt liegt, man kann ihn dort nur schon gut sehen. Und bei einem Wiedersehen nach etwa neun Monaten könnte das Duo auch überprüfen, ob denn die Zuhörer den Rat zur Pause befolgt haben, den Jochimsen mit der Beschwö­rungsformel „Tut es für Euer Land“ unterlegte: Kinderzeugen.